Intensity
Knurren begrüßt; es ist immer ein Hund, der vor der Person zurückschreckt, die ahnungslos einen außerirdischen Parasiten in ihrem Körper nährt. Aber Filme sind nicht das wahre Leben.
Die Hunde täuschen ihn zweifellos genauso, wie er sie täuscht. Ihre Liebe ist lediglich Respekt – oder sublimierte Furcht vor ihm.
Er erhebt sich, und die Hunde schauen erwartungsvoll hoch. Er hat sie morgens mit dem Summer aus ihrem Zwinger geholt; also würden sie jetzt einen Eindringling lediglich stellen und festhalten.
»Nietzsche«, sagt er.
Wie ein Wesen zucken die Dobermänner und erstarren. Zuerst richten sie angesichts des Befehls die Ohren auf, doch dann legen sie sie wieder flach an den Kopf.
Ihre schwarzen Augen leuchten in der Dämmerung.
Abrupt verlassen sie die Veranda und verteilen sich auf dem Gelände; nun befinden sie sich im Angriffsstatus.
Mr. Vess setzt seinen Hut auf und geht zur Scheune, in der er seinen Wagen untergestellt hat.
Das Wohnmobil läßt er neben dem Haus stehen. Um die Entfernung zu verringern, die er die beiden Leichen tragen muß, wird er es später auf der Einfahrt zurücksetzen, näher an die Wiese mit den anonymen Gräbern.
Mr. Vess atmet beim Gehen tief und langsam ein und macht seinen Kopf frei, bereitet sich auf den Wiedereintritt in die alltägliche Welt vor.
Er genießt die Scharade seines zweiten Lebens, bei der er als einer der unzähligen Unterdrückten und Getäuschten durchgeht, welche die Erde in Lügen hüllen und ihr Leben mit Verleugnung, Angst und Heuchelei verbringen. Er ist wie ein Fuchs in einem Stall degenerierter Hühner, die nicht mehr zwischen den Angehörigen ihrer eigenen Art und einem Raubtier unterscheiden können, und das ist ein sehr schönes Spiel für einen Fuchs mit einem gewissen Sinn für Humor.
Jeden Tag, den ganzen Tag lang, schätzt Vess andere Leute mit seinen Blicken ab, testet verstohlen ihre Konsistenz mit einem freundlichen Griff, atmet den verlockenden Geruch ihrer Haut ein, wählt zwischen ihnen aus wie unter abgepacktem Geflügel im Supermarkt. Er tötet nicht oft die, die er in seiner öffentlichen Rolle trifft – nur dann, wenn er absolut sicher ist, daß er damit durchkommt, und das betreffende Hühnchen besonders schmackhaft zu sein scheint.
Hätte Chyna Shepherd seinen normalen Tagesablauf nicht gestört, hätte Vess mehr Zeit gehabt, sich wieder an seine Rolle als stinknormaler Mensch zu gewöhnen. Er hätte sich vielleicht im Fernsehen eine Gameshow angeschaut, ein paar Kapitel eines Liebesromans von Robert James Waller gelesen und eine Ausgabe von People durchgeblättert, um sich jene Dinge wieder in Erinnerung zurückzurufen, welche die verzweifelte Masse der Menschheit benutzt, um das Bewußtsein ihrer wahren animalischen Natur und der Unausweichlichkeit des Todes zu betäuben. Er hätte sich eine Weile vor einen Spiegel gestellt, sein Lächeln eingeübt und seine Augen betrachtet.
Trotzdem ist er, als er die Scheune aus ergrautem Zedernholz erreicht, zuversichtlich, daß er in sein zweites Leben zurückgleiten wird, ohne Wellen zu schlagen, und daß all jene, die in seinen Teich schauen, es tröstlich finden werden, darin ihre eigenen Gesichter gespiegelt zu sehen. Die meisten Menschen haben dermaßen viel Mühe und Zeit für die Verleugnung ihrer Raubtiernatur aufgewandt, daß sie sie auch bei anderen nicht so leicht erkennen.
Er öffnet die Tür neben dem großen Tor, bleibt stehen und schaut zur Rückseite des Hauses. Er hat die Frau im Dunkeln zurückgelassen und kann daher ihre Gestalt nicht einmal verschwommen durch das ferne Fenster erkennen. Das sonnenlose, matte Zwielicht ist jedoch noch so hell, daß Miß Shepherd, die hochangesehene Psychologin, ihn sehen kann, wie er zur Scheune geht. Sie könnte ihn in diesem Augenblick beobachten.
Mr. Vess fragt sich, was sie in dieser überraschenden neuen Verkleidung von ihm hält. Sie muß schockiert sein. Weitere Illusionen fallen in Trümmer. Wenn sie ihn auf seinem Weg in sein zweites Leben sieht und erkennt, daß er in der Tat als rechtschaffener Bürger gilt, muß sie in eine Verzweiflung stürzen, die tiefer ist als jede, die sie bislang gekannt hat.
Er kann mit Frauen eben umgehen.
Nachdem Vess die Lampen ausgeschaltet und die Küche verlassen hatte, lehnte Chyna sich auf dem Holzstuhl zurück, fort vom Tisch, weil der Geruch des Schinkenbrotes ihr Übelkeit verursachte. Es war nicht verdorben; es roch, wie ein Schinkensandwich riechen sollte. Aber
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