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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Sandwich und die Tüte Kartoffelchips rutschten vom Tisch. Porzellan zerbrach, und die Splitter scharrten mit einem Geräusch über den Boden, das entnervend an huschende Nagetiere erinnerte.
    Der Schmerz in ihrem Nacken war schier unerträglich, und jemand schien einen Korkenzieher in ihr rechtes Schlüsselbein zu drehen. Aber Schmerz konnte sie nicht aufhalten. Er  spornte sie an.  Je größer der Schmerz war, desto mehr war sie eins mit Laura und der gesamten Familie Templeton, mit dem jungen Mann, der im Schrank des Wohnmobils hing, mit den Verkäufern in der Tankstelle und allen Leuten, die auf der Wiese begraben liegen mochten; und je mehr sie sich mit ihnen identifizierte, desto mehr wollte sie, daß Edgler Vess schrecklich zu leiden hatte. Ihre Stimmung war alttestamentarisch: Sie war jetzt nicht mehr bereit, auch die andere Wange hinzuhalten. Sie wollte, daß Vess auf einer Folterbank schrie, gestreckt wurde, bis seine Gelenke auseinandersprangen und seine Sehnen rissen. Sie wollte nicht miterleben, daß er in ein staatliches Krankenhaus für geisteskranke Verbrecher eingewiesen und dort analysiert und behandelt wurde und man seine Selbstachtung stärkte und ihn mit einer Palette von antipsychotischen Medikamenten behandelte, ihm ein eigenes Zimmer mit Fernsehen gab, Kartenspielturniere mit seinen Mitpatienten organisierte und ihm zu Weihnachten Truthahn vorsetzte. Statt ihn der Gnade der Psychiater und Sozialarbeiter zu überstellen, wollte Chyna ihn den geschickten Händen eines einfallsreichen Folterers ausliefern und dann  sehen , wie lange das verdammte, verrückte Arschloch seiner Philosophie treu blieb, alle Erfahrungen seien wertneutral, alle Gefühle gleich gut. Dieses inbrünstige Begehren, das aus ihrem Schmerz hervorgegangen war, war nicht sonderlich nobel, aber es war rein, ein Kraftstoff mit hoher Oktanzahl, der mit einem intensiven Licht verbrannte und ihren Motor am Laufen hielt.
    Diese Seite des faßähnlichen Sockels befand sich nun vielleicht zehn Zentimeter über dem Boden – sie konnte nur Vermutungen anstellen –, etwa so hoch, wie sie beim ersten Versuch gekommen war, aber sie hatte noch jede Menge Schwung. Zu einem rückwärts gerichteten Z gebogen, so bucklig wie ein Troll, zwang sie den Tisch mit ihrer Muskelkraft hoch, mit schmerzenden Knien und vor Anstrengung zitternden Schenkeln, den Arsch fester zusammengekniffen, als die Hand eines Politikers sich um Bestechungsgeld schließt. Sie ermutigte sich laut, indem sie zu dem Tisch sprach, als hätte er ein Bewußtsein:  »Komm schon, komm schon, komm schon, beweg dich, Scheiße, beweg dich, du Miststück, höher, komm schon, verdammt, verdammt, komm schon.«
    Blitzartig wurde ihr klar, wie lächerlich das Bild von außen wirken mußte: Sie befand sich in einer dieser Filmszenen, in denen der betrogene Cowboy die Wahrheit spitzkriegt und den Pokertisch umstößt und auf den unehrlichen Kartenhai wirft. Aber hier vollzog sich das Drama in Zeitlupe, wie in einem Unterwasser-Western.
    Anfangs blieb der Stuhl genau dort, wo er gewesen war, als ihr Hintern sich von ihm trennte, doch als sie die Arme immer höher hob und weiter ausstreckte, wurde der schwere Stuhl von der Kette hochgehoben, die ihre Handgelenke verband und hinter ihr zwischen den vertikalen Sprossen der Stuhllehne verlief. Nun hob sie vorn den Tisch und hinten den Stuhl hoch. Die Kante der Sitzflache drückte hart gegen ihre Schenkel, und das geschwungene Kopfstück der Lehne preßte sich grausam unter ihre Schulterblätter, und wie eine Schraubklemme hinderte der Stuhl sie daran, sich noch viel höher zu erheben.
    Dennoch stemmte Chyna sich gegen den Tisch, während sie ihn hob, löste sich so weit von dem einengenden Stuhl, daß sie sich um einen weiteren Zentimeter, und dann um noch einen, aus ihrer Hockstellung erheben konnte. Als ihre Kraft und Ausdauer an ihre Grenzen stießen, stöhnte sie laut und rhythmisch:  »Uh, uh, uh, uh!«  Schweiß glasierte ihr Gesicht, brannte in ihren Augen, aber es war sowieso völlig dunkel in der Küche, und sie mußte nicht sehen, was sie tat, um es zu vollenden. Ihre brennenden Augen störten sie nicht; das war nur ein kleiner Schmerz. Aber sie hatte den Eindruck, als würde ihr vor Anstrengung gleich ein Blutgefäß platzen – oder als hätte sich in der Arterie ein Blutgerinnsel gebildet und würde jeden Moment tief in ihr Gehirn eindringen.
    Sie verspürte wieder Furcht, zum erstenmal seit Stunden, denn selbst während

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