Intensity
dann gehst du nach vorn. Okay? Hast du verstanden? Geh nach vorn ins Führerhaus, damit ich nicht auf dich falle, wenn ich springe.«
Chyna stieß das Mädchen sanft an, und mehr war gar nicht nötig. Ariel fiel in das Wohnmobil, landete auf den Füßen, stolperte über den Hammer, den Chyna zuvor fallengelassen hatte, und legte eine Hand gegen die Wand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Geh nach vorn«, drängte Chyna sie.
Hinter ihr zersplitterte ein Fenster im Obergeschoß, und die Scherben prasselten auf das Verandadach. Eine der beiden Scheiben des Arbeitszimmers. Die Tür zu Vess’ Büro war nicht geschlossen gewesen, und die Hunde waren durch den Gang im oberen Stock hineingelangt, nachdem die Schlafzimmertür sie zur Verzweiflung getrieben hatte.
Sie drehte sich um und sah, daß ein Dobermann über das Dach direkt auf sie zulief, mit einer solchen Geschwindigkeit sprang , daß er sie vom Dach des Wohnmobils und auf den Hof reißen würde, wenn er gegen sie prallte.
Sie drehte sich zur Seite, aber der Hund war viel schneller als sie und korrigierte seine Flugbahn, noch während er auf dem Fahrzeug aufsetzte. Doch als er auf dem Dach landete, glitt er auf der taufeuchten Oberfläche aus, geriet ins Schlittern, während seine Krallen über das Metall kreischten, rutschte zu Chynas Erstaunen an ihr vorbei und glitt vom Dach, ohne sie berührt zu haben.
Heulend fiel der Hund auf den Hof, jaulte, als er auf den Boden prallte, und versuchte sich wieder aufzurappeln. Aber irgend etwas stimmte mit seinen Hinterläufen nicht. Er konnte nicht aufstehen. Vielleicht hatte er sich das Becken gebrochen. Er hatte Schmerzen, war aber noch so außer sich, daß er sich weiterhin auf Chyna statt auf sich selbst konzentrierte. Der Hund setzte sich auf und bellte sie an, während seine Hinterbeine in einem unnatürlichen Winkel nach einer Seite abstanden.
Ohne zu bellen war nun der zweite Dobermann aufmerksam und vorsichtig durch das zerbrochene Fenster des Arbeitszimmers auf das Verandadach gesprungen. Das war offenbar derjenige, den sie zweimal mit Salmiak besprüht hatte, beide Male auf die Schnauze, denn selbst jetzt noch schüttelte er den Kopf und nieste, als machten ihm die verweilenden Dämpfe zu schaffen. Aber er hatte gelernt, sie zu respektieren, und würde sie nicht so voreilig anspringen, wie der andere Hund es getan hatte.
Doch früher oder später würde er natürlich merken, daß sie die Spraydose nicht mehr hatte, daß sie nichts in der Hand hielt, was sie als Waffe einsetzen konnte. Dann würde er seinen Mut zurückgewinnen.
Was sollte sie tun?
Sie wünschte, sie hätte den Mop mit der langen Stange nicht auf den Hof geworfen. Dann hätte sie mit dem Holzgriff auf den Dobermann einstechen können, wenn er sie angriff. Wenn sie hart genug zustieß, hätte sie ihn vielleicht sogar verletzen können. Aber der Mop war außer Reichweite.
Denk nach.
Der Dobermann näherte sich ihr nicht über das Verandadach, sondern schlich mit eingezogenen Schultern an der Hauswand entlang. Er hielt den Kopf gesenkt und von ihr abgewandt, schaute aber immer wieder zu ihr zurück. Er erreichte das offene Fenster von Vess’ Schlafzimmer und kehrte dann langsam zurück, schaute dabei immer wieder abwechselnd zu den vom Mondlicht versilberten Glassplittern hinab, über die er vorsichtig hinwegtrat, und zu ihr hinüber.
Chyna überlegte, ob sich im Wohnmobil etwas befand, das sie als Waffe benutzen konnte. Das Mädchen konnte es ihr hinaufreichen.
»Ariel«, sagte sie leise.
Der Hund blieb stehen, als er ihre Stimme hörte.
»Ariel.«
Aber das Mädchen antwortete nicht.
Hoffnungslos. Sie konnte Ariel nicht schnell genug dazu bringen, etwas zu unternehmen; das Mädchen war ihr nicht die geringste Hilfe.
Wenn der Dobermann schließlich angriff, würde Chyna nicht noch einmal so viel Glück haben. Dieses Tier würde nicht über das Verandadach springen und vom Wohnmobil rutschen, ohne die Zähne in sie zu schlagen. Wenn es sie ansprang, mußte sie sich mit bloßen Händen zur Wehr setzen.
Der Hund blieb stehen. Er hob den schlanken schwarzen Kopf, starrte sie an und richtete hechelnd die Ohren auf.
Chynas Gedanken rasten. Sie hatte noch nie zuvor so klar und schnell gedacht.
Obwohl es ihr gefährlich vorkam, den Blick von dem Dobermann zu wenden, schaute sie die Dachluke hinab.
Ariel war nicht in dem kurzen Gang unter ihr. Sie hatte ihre Anweisungen befolgt und war nach vorn gegangen. Braves Mädchen.
Der
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