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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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intensiver werden.
    Die vordere Veranda befindet sich unmittelbar unter diesem Fenster, doch wegen des Dachs kann er sie nicht sehen. Die geheimnisvolle Frau ist irgendwo auf der Veranda. Er kann ihre Nähe spüren ; vielleicht ist sie direkt unter ihm.
    Er nimmt die Pistole vom Nachttisch und gleitet leise über den Teppichboden zur offenen Tür. Er tritt in den Korridor und geht schnell zum oberen Ende der Treppe, wo er stehenbleibt. Er kann nur die Brüstung darunter sehen, nicht das Wohnzimmer, aber er lauscht.
    Sollte sie die Haustür öffnen, wird er es mitbekommen, denn eines der Scharniere gibt ein trockenes, knarrendes Geräusch von sich. Es ist nicht laut, aber unverwechselbar. Da er eigens auf das Ächzen dieses verrosteten Scharniers lauscht, kann nicht einmal das Trommeln des Regens auf dem Dach, das Rauschen des Wassers in der Dusche und »In the Mood« im Radio das Geräusch völlig übertönen.
    Verrückt. Aber sie wird es tun. Für Ariel. Für Laura. Aber auch für sich selbst. Vielleicht sogar hauptsächlich für sich selbst.
    Nach all diesen Jahren unter Betten, in Schränken, auf dämmrigen Dachböden – kein Verstecken mehr. Nach all diesen Jahren, die sie so gerade eben über die Runden gekommen war, mit stets gesenktem Kopf, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, mußte sie plötzlich etwas tun , oder sie wäre explodiert. Seit dem Tag ihrer Geburt hat sie in einem Gefängnis gelebt, auch noch, nachdem sie ihre Mutter verlassen hatte, einem Gefängnis der Furcht und Scham und niedrigen Erwartungen, und sie hatte sich an ihr eingeschränktes Leben dermaßen gewöhnt, daß sie die Gitterstäbe gar nicht mehr wahrgenommen hatte. Nun hatte rechtschaffener Zorn sie befreit, und sie war geradezu verrückt vor Freiheit.
    Der frostige Wind schlug um, und Regenfetzen peitschten unter dem Verandadach auf sie ein.
    Ein Windspiel aus Muscheln klapperte, ein Ärgernis unreiner Töne.
    Chyna glitt an dem Fenster vorbei und versuchte, auf keine der vielen Schnecken zu treten. Die Vorhänge blieben geschlossen.
    Die Haustür war zu, aber nicht abgeschlossen. Sie schob sie langsam nach innen auf. Ein Scharnier schnarrte.
    Die Big-Band-Melodie endete mit einer Fanfare, und sofort erklangen irgendwo im Haus zwei Stimmen. Chyna erstarrte auf der Schwelle, doch dann wurde ihr klar, daß sie einen Werbespot hörte. Die Musik war aus einem Radio gekommen.
    Es war möglich, daß der Mörder das Haus mit einer anderen Person als Ariel beziehungsweise der Prozession von Opfern oder Leichen teilte, die er von seinen Ausflügen mitgebracht hatte. Chyna konnte sich nicht vorstellen, daß er eine Familie hatte, Frau und Kinder, daß ein Haufen Psychopathen hier auf ihn wartete; aber es waren einige wenige Fälle bekannt, in denen soziopathische Mörder zusammengearbeitet hatten, zum Beispiel die beiden Männer, die sich vor ein paar Jahrzehnten in Los Angeles als der Hillside Strangler erwiesen hatten.
    Doch Stimmen aus dem Radio waren keine Bedrohung.
    Mit dem Revolver in der ausgestreckten Hand ging sie hinein. Der auffrischende Wind pfiff ins Haus, rüttelte an einem wackligen Lampenschirm und drohte sie zu verraten; also schloß sie die Tür wieder.
    Die Radiostimmen kamen links von ihr eine eingefaßte Treppe herab. Sie hielt ein Auge auf die türlose Öffnung am Fuß der Stufen gerichtet, für den Fall, daß dort mehr als nur Stimmen herunterkommen sollten.
    Der vordere Raum des Erdgeschosses vereinnahmte die gesamte Breite des kleinen Hauses, und das, was sie in dem grauen Licht, das durch die Fenster fiel, erkennen konnte, entsprach ganz und gar nicht ihren Erwartungen. Sie sah waldgrüne Ledersessel mit Fußbänken, ein mit Schottenkaro bezogenes Sofa auf großen Kugelfüßen, rustikale Eichentischchen und Regale, die vielleicht dreihundert Bücher bargen. Im Kamin aus großen Flußsteinen befand sich ein Feuerbock aus leuchtendem Messing, und auf dem Sims stand eine alte Uhr mit zwei Bronzehirschen, die sich auf ihre Hinterläufe erhoben. Die Einrichtung war durch und durch männlich, aber nicht aggressiv – keine Reh- oder Bärenköpfe mit glasig starrenden Augen an den Wänden, keine Bilder mit Jagdszenen, keine Gewehre in Schaukästen. Das Zimmer war einfach freundlich und behaglich. Wo sie als Ausdruck seines ernsthaft gestörten Geistes ein umfassendes Durcheinander erwartet hatte, herrschte Ordnung. Statt Schmutz Sauberkeit; selbst in der Dunkelheit konnte Chyna sehen, daß der Raum blitzsauber war.

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