Intensity
Augen und offenem Mund im Geruch der Waschmittel und dem von der Wand gedämpften Scheppern der Kupferrohre da, und ihre Stimme hallt in seiner Erinnerung.
Sie kann unmöglich etwas von Ariel wissen.
Und doch ruft sie das Mädchen erneut, lauter als zuvor. Mr. Vess kommt sich plötzlich schrecklich verletzt, bedroht,
beobachtet vor. Er wirft einen Blick zu den Fenstern der Eßekke und Küche zurück und erwartet halbwegs, die strahlenden Gesichter anklagender Fremder gegen die Scheiben gedrückt zu finden. Er sieht zwar nur den Regen und das ertränkte graue Licht, ist jedoch noch immer erschüttert.
Das ist kein Spaß mehr. Ganz und gar nicht.
Das Geheimnis ist zu unergründlich. Und beunruhigend. Er hat den Eindruck, diese Frau sei nicht aus dem Honda zu
ihm gekommen, sondern durch eine unsichtbare Barriere zwischen den Dimensionen, aus einer Welt jenseits seiner eigenen, aus der sie ihn heimlich beobachtet hat. Der Geschmack ist entschieden übernatürlich, die Struktur überirdisch, und nun riechen die Waschmittel wie brennender Weihrauch, und in der übersättigten Luft scheinen unsichtbare Wesen zu schweben.
Mr. Vess wird erfüllt von Angst und geplagt von Zweifeln, und an keines dieser Gefühle ist er gewöhnt. Er tritt in den Wäscheraum und hebt die Heckler & Koch P7. Sein Finger krümmt sich um den Abzug, als wolle er schon jetzt einen Schuß abfeuern.
Die Kellertür steht offen. Das Licht im Treppenhaus brennt. Die Frau ist nicht zu sehen.
Sein Finger entspannt sich, ohne daß er geschossen hat. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er Gäste im Haus hat, zum Abendessen oder zu einer beruflichen Besprechung, läßt er immer einen Dobermann im Wäschezimmer. Der Hund liegt da, leise und dösend, und wenn ein anderer als Vess den Raum betritt, bellt und schnaubt der Hund und treibt den Eindringling zurück.
Wenn ihr Herr unterwegs ist, bewachen die Dobermänner aufmerksam das gesamte Grundstück, und niemand kann darauf hoffen, in das Haus zu gelangen, geschweige denn in den Keller.
Mr. Vess hat an der Kellertür nie einen Riegel angebracht, weil er befürchtet, die Tür könne zufällig zuschlagen und ihn dort unten einsperren, während er seine Aufmerksamkeit auf sein Spiel richtet. Bei einem mit einem Schlüssel verstellbaren Schließriegel könnte es natürlich nie zu solch einer Katastrophe kommen. Er kann sich nicht vorstellen, wie bei einem solchen Mechanismus eine Fehlfunktion auftreten könnte; dennoch ist die Vorstellung, sich versehentlich selbst dort unten einzusperren, so unangenehm, daß er das Risiko nicht eingeht.
Im Lauf der Jahre hat er beobachten können, wie der Zufall sein Werk in der Welt tut und Menschen deshalb umkommen. Als Mr. Vess eines Spätnachmittags Ende Juni, kurz vor Anbruch der Dämmerung, auf der Interstate 80 nach Reno, Nevada, fuhr, überholte eine junge Blondine in einem MustangCabrio sein Wohnmobil. Sie trug weiße Shorts und eine weiße Bluse, und ihr langes Haar floß rotgolden im Wind des Zwielichts. Von dem augenblicklich eintretenden und starken Bedürfnis erfüllt, ihr wunderschönes Gesicht zu zerschmettern, hatte er das Wohnmobil auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt, um ihren schnelleren Mustang nicht aus den Augen zu verlieren, doch der Versuch schien aussichtslos zu sein. Als der Highway zu den Sierras hinaufführte, konnte sein Wohnmobil nicht mehr mithalten, und der Mustang zog davon. Selbst wenn er dicht hinter der Frau hätte bleiben können, wäre der Verkehr zu dicht gewesen – zu viele Zeugen –, als daß er eine so kühne Tat wagen könnte, sie vom Highway zu drängen. Dann war einer der Reifen des Mustang geplatzt. Da sie so schnell fuhr, kam sie ins Schleudern und hätte sich fast überschlagen, doch dann bekam sie den Wagen wieder unter Kontrolle und fuhr ihn auf die Standspur. Mr. Vess hielt an und erbot sich, ihr zu helfen. Sie war ihm sehr dankbar gewesen und hatte angenehm schüchtern gelächelt, ein nettes Mädchen mit einem drei Zentimeter großen goldenen Kreuz an einer Halskette, und später hatte sie so bitterlich geweint und sich so aufregend gewehrt, um ihre Schönheit nicht hergeben zu müssen, hatte das Gesicht immer wieder von den diversen scharfen Gegenständen abgewandt; einfach eine gut gelaunte, junge Frau voller Leben unterwegs nach Reno, bis der Zufall sie ihm schenkte.
Und wenn ein Reifen platzen kann, kann auch ein Sperrschloß versagen.
Wo der Zufall zuschlagen kann, schlägt er zu.
Mr. Vess lebt
Weitere Kostenlose Bücher