Intensity
und wenn der Tag kommt, an dem ich dich nehme, wirst du sowohl den Jungen als auch den Berg in mir spüren, und so viele andere Leute, all ihre Macht. Es wird sehr aufregend für dich werden, Ariel, so aufregend, daß es dir völlig gleichgültig ist, daß du hinterher tot bist.«
Das ist eine lange Rede für Mr. Vess. Er ist zumeist nicht besonders gesprächig. Doch die Schönheit des Mädchens veranlaßt ihn dann und wann zu kleinen Reden.
Er hält die Slim Jim hoch.
»Das abgebissene Stück wurde von Fuji verzehrt, unmittelbar, bevor ich ihn getötet habe. Sein Speichel wird auf dem Fleisch getrocknet sein. Du kannst ein wenig von seiner stillen Macht schmecken, seiner unerforschlichen Natur.«
Er legt die eingepackte Wurst auf den Sessel.
»Ich komme nach Mitternacht zurück«, verspricht Mr. Vess. »Dann gehen wir zum Wohnmobil, damit du Laura sehen kannst, die richtige Laura, nicht nur das Bild von ihr. Ich habe sie mitgebracht, damit du sehen kannst, was aus allen hübschen Dingen wird. Und da ist auch ein junger Mann, ein Anhalter, den ich unterwegs mitgenommen habe. Ich habe ihm ein Foto von dir gezeigt, und mir gefiel einfach nicht, wie er dich ansah. Er hatte keinen Respekt. Er war lüstern. Mir hat nicht gefallen, was er über dich gesagt hat, und so habe ich ihm den Mund zugenäht, und die Augen habe ich ihm zugenäht, weil er dein Bild so angesehen hat. Wenn du siehst, was ich mit ihm gemacht habe, wirst du begeistert sein. Du kannst ihn anfassen … und Laura.«
Vess hält aufmerksam nach einer nervösen Muskelzuckung, einem Erschauern, Zurückschrecken oder einer leichten Veränderung in ihren Augen Ausschau, nach irgend etwas, das ihm verrät, daß sie ihn hört. Er weiß , daß sie ihn hört, doch sie ist so klug, ein ernstes Gesicht und den Anschein katatonischer Losgelöstheit zu bewahren.
Wenn er ein schwaches Schaudern bei ihr erzwingen kann, ein nervöses Zucken, dann wird er sie bald völlig zerbrechen, und sie wird heulen wie ein glotzäugiger Patient in einer geschlossenen Anstalt. Es ist stets faszinierend, einen solchen Zusammenbruch zum kreischenden Wahnsinn zu beobachten.
Aber dieses Mädchen ist zäh und hat eine überraschende innere Kraft. Gut. Die Herausforderung elektrisiert ihn.
»Und vom Wohnmobil gehen wir dann mit den Hunden auf die Wiese, Ariel, und du kannst zusehen, wie ich Laura und den Anhalter begrabe. Vielleicht ist der Himmel bis dahin aufgeklart, und du kannst Sterne oder sogar den Mond sehen.«
Ariel kauert sich mit dem Buch auf dem Sessel zusammen – die Augen schauen ins Leere, die Lippen sind leicht geöffnet – und verhält sich völlig ruhig.
»He, bevor ich’s vergesse, ich habe dir eine neue Puppe mitgebracht. Ein interessanter kleiner Laden in Napa, Kalifornien, in dem Kunsthandwerk aus der Gegend verkauft wird. Eine hübsche Stoffpuppe. Sie wird dir gefallen. Ich gebe sie dir später.«
Mr. Vess erhebt sich von der Fußbank und nimmt eine beiläufige Bestandsaufnahme des Kühlschranks und des Schranks vor, in dem die Lebensmittel für das Mädchen liegen. Sie hat genug Vorräte für weitere drei Tage, und morgen wird er ihre Regale wieder auffüllen.
»Du ißt nicht so viel, wie du eigentlich solltest«, tadelt er sie. »Das ist undankbar von dir. Ich gebe dir einen Kühlschrank, eine Mikrowelle, fließendes kaltes und warmes Wasser. Du hast alles, was du brauchst, um ein gutes Leben zu führen. Du solltest essen.«
Die Puppen können kaum weniger auf ihn eingehen als das Mädchen.
»Du hast zwei oder drei Pfund abgenommen. Es beeinträchtigt dein Aussehen noch nicht, aber du darfst nicht noch mehr abnehmen.«
Sie starrt in die Luft, als warte sie darauf, daß jemand an ihrer Schnur zieht, damit sie ihre aufgezeichneten Sprüche aufsagt.
»Glaub ja nicht, du könntest hungern, bis du hager und häßlich bist. Auf diese Weise kannst du mir nicht entkommen, Ariel. Notfalls werde ich dich fesseln und künstlich ernähren. Ich zwinge dich, einen Gummischlauch zu schlucken, und pumpe Babynahrung in deinen Magen. Das würde mir sogar Spaß machen. Magst du Erbsenpüree? Möhren? Apfelbrei? Aber das spielt wohl keine Rolle, denn du wirst es nicht schmecken – außer, du übergibst dich.«
Er betrachtet ihr seidenes Haar, das in dem gefilterten Licht rotblond ist. Dieser Anblick wird von allen fünf seiner außerordentlichen Sinne verarbeitet, und er badet im sinnlichen Glanz ihres Haars, in all den Tönen und Gerüchen und ertastbaren
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