Intensity
dann aber feinsinnig eine exquisite Duftnuance nach der anderen heraus und wünscht sich, sein Geruchssinn wäre zwanzigtausendmal intensiver, als er es ist, wie der eines Dobermanns.
Diese Duftnoten bringen ihn in die gerade vergangene Nacht zurück. Er hört erneut das leise Floppen des Schalldämpfers auf der Pistole, die gedämpften Schreie des Entsetzens und das dünne Gnadengewimmer in der nächtlichen Ruhe des Hauses. Er riecht Mrs. Templetons nach Flieder duftende Körperlotion, die sie auf ihre Haut aufgetragen hatte, bevor sie sich zur Nacht zurückzog, den Wohlgeruch des Duftkissens in der Schublade, in der die Tochter ihre Unterwäsche aufbewahrte. Er schmeckt in der Erinnerung die Spinne.
Bedauernd legt er die Kleidungsstücke beiseite, um sie zu waschen, denn an diesem Abend muß er wieder als der Durchschnittsmensch durchgehen, der er nicht ist, und diese Verwandlung von Mr. Hyde in Dr. Jekyll beansprucht eine gewisse Zeit, wenn sie überzeugend sein soll.
Als Benny Goodman »One O’clock Jump« spielt, taucht Mr. Vess daher in das brennend heiße Wasser ein und geht besonders energisch mit dem Waschlappen und verschwenderisch mit dem Stück Irish Spring um, schrubbt die stechenden Gerüche von Sex und Tod weg, welche die Schafe beunruhigen könnten. Sie dürfen niemals den Verdacht schöpfen, der Schäfer könne unter seiner Verkleidung als Hirte eine Schnauze mit hervorstehenden Eckzähnen und einen buschigen Schwanz haben. Er läßt sich Zeit, tanzt zu einem Song nach dem anderen, shampooniert sein dichtes Haar zweimal ein und behandelt es dann mit einem durchdringenden Frisiermittel. Mit einer kleinen Bürste schrubbt er seine Fingernägel. Er ist ein perfekt proportionierter Mann, schlank, aber muskulös. Wie immer bereitet das Einseifen ihm großes Vergnügen; er genießt die plastischen Konturen seines Körpers unter seinen schlüpfrigen Händen; er fühlt sich, wie die Musik klingt, wie die Seife riecht, wie der Geschmack gesüßter Schlagsahne.
Leben ist. Vess lebt.
Chyna kam aus der Dunkelheit von Key West und einem tropischen Gewitter in ein grelles Neonlicht, das in ihren trüben Augen brannte. Zuerst glaubte sie fälschlich, die Furcht, die ihr Herz hämmern ließ, gelte Jim Woltz, dem Freund ihrer Mutter; sie glaubte, sie habe ihr Gesicht unter dem Bett in seinem Haus am Strand auf den Boden gedrückt. Doch dann erinnerte sie sich an den Mörder und das gefangene Mädchen.
Sie saß aufrecht auf einem Stuhl, vornübergebeugt auf den runden Tisch in der Eßecke der Kiefernholzküche. Ihr Kopf war nach rechts gedreht, und sie schaute durch ein Fenster auf die hintere Veranda und den Garten hinaus.
Der Mörder hatte von einem der anderen Stühle ein Sitzkissen entfernt und es unter ihren Kopf gelegt, damit ihr Gesicht nicht unangenehm gegen das Holz drückte. Sie erschauerte angesichts dieser Aufmerksamkeit.
Als sie versuchte, den Kopf zu heben, schoß ein Schmerz ihren Nacken hinauf und pochte an ihrer rechten Schläfe. Sie wäre fast ohnmächtig geworden und kam zu dem Schluß, daß sie es mit dem Aufstehen nicht eilig hatte.
Als sie ihr Gewicht auf dem Stuhl verlagerte, deutete das Klirren von Ketten darauf hin, daß sie vielleicht gar nicht die Wahl hatte, sich sofort oder erst später zu erheben. Ihre Hände lagen auf ihrem Schoß, und als sie versuchte, eine zu heben, hoben sich beide, denn ihre Gelenke waren mit Handschellen verbunden.
Sie versuchte, die Beine zu spreizen – und stellte fest, daß auch ihre Knöchel gefesselt waren. Dem lauten Klappern und Rasseln zufolge, das ihre schwachen Bewegungen auslösten, lagen auch noch weitere Fesseln um ihre Glieder.
Draußen sprang etwas Rußschwarzes über den grünen Rasen, flitzte die Stufen hinauf und lief über die Veranda. Es kam zum Fenster, sprang hinauf, legte die Pfoten auf den hölzernen Fensterrahmen und schaute sie durch die Scheibe an. Ein Dobermannpinscher.
Ariel preßt ein geöffnetes Buch vor ihre Brüste, als sei es ein Schild; die Hände hat sie über dem Einband gespreizt. Sie sitzt in dem riesigen Sessel, die Beine unter sich herangezogen, die einzige perfekte Puppe unter all jenen, die sich in dem Raum befinden.
Mr. Vess sitzt vor ihr auf einem Schemel.
Er macht sich sehr gut. Geduscht, mit gewaschenem Haar, rasiert und gekämmt ist er in jeder Gesellschaft vorzeigbar, und jede Mutter, die ihre Tochter an seinem Arm sieht, würde denken, daß er eine gute Partie ist. Er trägt Halbschuhe ohne Sokken,
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