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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Schutzengel.
    Sie faltete erneut die Hände auf dem Tisch. Sie beugte sich vor, bis ihre Stirn auf den Daumen zu liegen kam, und schloß die Augen.
    Die einzige Freundin, die sie je gehabt hatte, war Laura Templeton. Ihre Beziehung war etwas, das sie stets ersehnt, aber nie gesucht hatte, das sie verzweifelt brauchte, aber nicht großartig aufbauen mußte; es war einfach die Konsequenz aus Lauras Lebhaftigkeit, Beharrlichkeit und Selbstlosigkeit angesichts von Chynas Vorsicht und Zurückhaltung, eine Folge von Lauras freundlichem Naturell und ihrer einzigartigen Fähigkeit zu lieben. Und jetzt war Laura tot.
    Ich bin dein Schutzengel.
    In Lauras Zimmer hatte Chyna unter Freuds starrem Blick neben dem Bett gekniet und ihrer gefesselten Freundin zugeflüstert: Ich hole dich hier raus. Mein Gott, was tat es weh, daran zu denken. Ich hole dich hier raus. Ihr Magen zog sich qualvoll zusammen, so sehr ekelte sie sich vor sich selbst. Ich werde schon eine Waffe finden, hatte sie versprochen. Laura, selbstlos bis zum Ende, hatte sie gedrängt, zu fliehen und das Haus zu verlassen. Stirb nicht für mich, hatte Laura gesagt. Aber Chyna hatte geantwortet: Ich werde zurückkommen.
    Nun kam die Trauer erneut, stieß wie ein großer, dunkler Vogel in ihr Herz hinab, und sie ließ sich fast von den Schwingen einhüllen, war begierig auf den seltsamen Trost dieser schlagenden Schwingen – bis ihr klar wurde, daß sie die Trauer benutzte, um das Gefühl der Erniedrigung loszuwerden. Die Trauer ließ keinen Platz mehr für Abscheu vor sich selbst.
    Ich bin dein Schutzengel.
    Obwohl der Verkäufer den Revolver nicht abgefeuert hatte, hätte sie ihn überprüfen müssen. Sie hätte es wissen müssen. Irgendwie. Auf irgendeine Weise. Obwohl sie unmöglich wissen konnte, was Vess mit den Kugeln getan hatte, hätte sie es wissen müssen.
    Laura hatte ihr immer gesagt, daß sie zu hart zu sich selbst war und ihre Wunden niemals heilen würden, wenn sie sich in endloser Selbstgeißelung immer neue blaue Flecken auf die alten schlug.
    Aber Laura war tot.
    Ich bin dein Schutzengel.
    Chynas Erniedrigung schwärte zu Scham.
    Und wenn Erniedrigung ein gutes Mittel war, um Entsetzen zu unterdrücken, war Scham ein noch besseres. Wenn sie in Scham schwelgte, kannte sie überhaupt keine Furcht mehr, obwohl sie gefesselt im Haus eines sadistischen Mörders saß und kein Mensch auf der Welt sie vermissen würde. Der Gerechtigkeit war Genüge getan, indem sie sich hier befand.
    Dann hörte sie sich nähernde Schritte.
    Sie hob den Kopf und öffnete die Augen.
    Der Mörder kam aus der Waschküche herein; offensichtlich war er bei dem Mädchen im Keller gewesen.
    Ohne mit Chyna zu sprechen, ohne einen Blick auf sie zu werfen, ganz so, als gäbe es sie gar nicht, ging er zum Kühlschrank, holte einen Karton Eier heraus und stellte ihn neben der Spüle auf die Arbeitsfläche. Geschickt schlug er acht Eier in einer Schüssel auf und warf die Schalen in den Abfall. Die Schüssel stellte er in den Kühlschrank; dann schälte und hackte er eine Gemüsezwiebel.
    Chyna hatte seit über zwölf Stunden nichts mehr gegessen; trotzdem bestürzte sie die Entdeckung, daß sie einen Bärenhunger hatte. Der Zwiebel entströmte der süßeste Geruch, den sie je wahrgenommen hatte, und ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Nach so viel Blut, nachdem sie die engste Freundin verloren hatte, die sie je gehabt hatte, kam es ihr herzlos vor, so schnell wieder Appetit zu entwickeln.
    Der Mörder kippte die gehackte Zwiebel in einen Tupperware-Behälter, drückte den Deckel fest darauf und stellte ihn neben der Schüssel mit den Eiern in den Kühlschrank. Dann raspelte er einen halben Keil Cheddarkäse in einen anderen Tupperware-Behälter.
    Er erledigte die Küchenarbeiten flott und effizient und schien seinen Spaß daran zu haben. Er hielt seine Arbeitsfläche sauber. Und er wusch sich vor jedem Arbeitsgang gründlich die Hände und trocknete sie an einem Handtuch ab, nicht am Geschirrtuch.
    Schließlich kam er an den Eßtisch. Er setzte sich Chyna entspannt gegenüber, war voller Selbstvertrauen und wirkte in seinen Baumwollhosen, dem geflochtenen Gürtel und dem weichen Baumwollhemd lässig wie ein College-Junge.
    Die Scham, die drauf und dran gewesen war, sie zu verzehren, war statt dessen einfach ausgebrannt. Eine seltsame Mischung aus schwelendem Zorn und bitterer Niedergeschlagenheit hatte sie ersetzt.
    »Sie sind bestimmt hungrig«, sagte er, »und nachdem wir ein wenig

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