Internat auf Probe
und würde am liebsten auf der Stelle im Bühnenboden versinken. Sie ist froh, als der Internatsleiter seine Rede beendet und endlich das Zeichen zum Aufbruch gibt.
Im Blitzlichtgewitter zahlreicher Fotoapparate und unter dem Beifall der Eltern wandern die frischgebackenen Sextaner von der Bühne. Carlotta winkt Mama ein letztes Mal unauffällig zu, bevor sie mit den anderen in einem der langen Gänge verschwindet.
Sie fragt sich, was Papa wohl gerade macht. Ob er schon im Flugzeug sitzt? Und Katie? Sie hat versprochen, Carlotta jede Woche eine Tüte Gummibärchen zu schicken, als Notproviant und zum Fotografieren. Hoffentlich hält sie sich daran! Ob ihre Einschulungsfeier auch gerade zu Ende ist? Neben wem sie jetzt wohl sitzt? Sie wollen sich regelmäßig schreiben und so oft wie möglich miteinander telefonieren. Carlotta nimmt sich vor, gleich heute damit anzufangen. Vielleicht gibt es im Schloss irgendwo einen Computer, an dem sie hin und wieder E-Mails schreiben kann. Sie stapft hinter ihren neuen Mitschülern her und bezweifelt, dass sie hier jemals eine neue Freundin finden wird. Sofie ist die Einzige, deren Namen sie bisher kennt. Und ausgerechnet die ist total zickig und abweisend.
Hoffentlich kommen wir nicht zusammen in ein Zimmer, denkt Carlotta. Bloß das nicht!
Sie umrunden ein paar Ecken, gehen eine Treppe hinauf und bleiben schließlich in einem langen Gang stehen.
„Ihr habt Glück“, sagt Frau Heselein lächelnd, „dass ihr so eine kleine Klasse seid. Nur 19 Schüler. Das heißt, wir kommen mit vier Vierer- und einem Dreierzimmer aus. Ich verteile die Zimmer jetzt. Mit den Jungs geht’s los, davon haben wir nämlich nur acht.“ Sie zieht ein Blatt Papier aus der Tasche und liest die Namen und zwei Zimmernummern vor.
Mit verlegenem Grinsen treten die acht Jungs vor und nehmen die Zimmerschlüssel in Empfang.
„Eure Zimmer liegen im Jungentrakt, die ersten beiden Zimmer am Anfang des nächsten Flures“, sagt Herr Frankenberg zu ihnen. „Ich bringe euch hin und zeige euch alles.“
Frau Heselein wendet sich an die Mädchen. „Und nun zu euch, meine Damen …“
Carlottas Herz klopft zum Zerspringen. Genau wie die anderen hört sie gespannt zu und wartet darauf, dass ihr Name vorgelesen wird.
„Sofie Beauchamps, Manuela Bernberg und Carlotta Prinz“, verkündet Frau Heselein. „Ihr bekommt Zimmer 128. Das ist das Dreierzimmer.“
„Ist ja spitze“, brummt ein stämmiges, rothaariges Mädchen.
Es tritt vor, nimmt Frau Heselein den Schlüssel aus der Hand und mustert Carlotta. „Gehört das Internat deinen Eltern?“
„Wie bitte?“, fragt Carlotta.
„Du heißt Prinz mit Nachnamen“, sagt das Mädchen. „Prinz wie Prinzensee.“
„Ach so!“ Carlotta lacht. „Nee, das ist Zufall.“
„Keine Prinzessin also?“ Das rothaarige Mädchen kneift die Augen zusammen.
„Nein“, versichert Carlotta.
„Dann ist ja gut“, brummt Manuela.
Carlotta und Sofie wechseln einen kurzen Blick. Carlotta zuckt mit den Schultern.
Ohne ein weiteres Wort stapft Manuela voraus und schließt die Zimmertür auf.
„Na, super“, knurrt sie und wirft sich auf das erste Bett. „Hat ungefähr die Größe einer Besenkammer und riecht auch so ähnlich. Was dagegen, wenn ich das Bett hier nehme? Ich schlafe gerne neben der Tür. Ist eine Angewohnheit von mir und praktisch, wenn’s brennt.“ Sie verschränkt die Hände im Nacken, streckt die Beine lang aus und gähnt herzhaft. „Ach, noch was …“, brummt sie. „Nennt mich auf keinen Fall Manuela. Ich hasse meinen Namen.“
Carlotta und Sofie stehen unschlüssig an der Tür.
„Wie sollen wir dich dann nennen?“, fragt Carlotta mit gerunzelter Stirn.
„Manu von mir aus“, murmelt Manuela und klappt die Augen zu. „Oder sonst wie. Denkt euch was aus.“
Carlotta zieht die Augenbrauen hoch. Will die jetzt etwa ein Nickerchen machen?
Sie schaut sich im Zimmer um. Es ist mit hellen Möbeln gemütlich eingerichtet: drei Betten, drei Kleiderschränke, drei Schreibtische und drei halbhohe Regale, die das Zimmer so aufteilen, dass jedes Mädchen sein eigenes Reich hat. Gar nicht so übel. Die beiden Betten links und rechts neben dem Fenster sind noch frei.
„Welches möchtest du?“, wendet sie sich an Sofie.
Das dünne Mädchen hat bis jetzt noch kein einziges Wort gesprochen.
Hilfe, denkt Carlotta erschrocken. Hoffentlich ist die nicht stumm! Das Zimmer mit einem an Schlafkrankheit und schlechten Manieren leidenden rothaarigen
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