Internat und ploetzlich Freundinnen
gut machen. Bei dem Gedanken an die Süßigkeiten läuft ihr sofort das Wasser im Mund zusammen. Um sich abzulenken, legt sie den Kopf in den Nacken und fotografiert in die gewaltigen Baumkronen hinauf. Das milde Sonnenlicht bricht sich zwischen den grünen Blättern. Einzelne Strahlen fallen hindurch. Carlotta ist begeistert. Foto um Foto schießt sie und vergisst dabei ganz die Zeit.
Als sie um die Bäume herumgeht, um das Spiel zwischen Licht und Schatten einzufangen, hört sie plötzlich ein Geräusch. Es hört sich an wie ein von einzelnen Schluchzern unterbrochenes Wimmern.
Carlottas Herz klopft schneller. Hinter den Bäumen stehen die Büsche und Sträucher dicht nebeneinander. Das Unterholz ist verwildert und nahezu undurchdringlich. Sie umfasst den Fotoapparat mit einer Hand und versucht, zwischen all dem wuchernden Grün etwas zu erkennen.
„Hallo?“, fragt sie leise. Niemand antwortet. Das Wimmern bricht abrupt ab, gerade so, als würde jetzt nicht nur Carlotta angespannt lauschen, sondern derjenige, der sich im Dickicht verbirgt, ebenfalls.
Carlotta bleibt stehen. Sie hat sich ziemlich weit vom Schloss entfernt. Hinter der Wildnis fängt schon die Landstraße an, die in Richtung Stadt führt. Wer weiß, wer sich hier herumtreibt? Sie verspürt den heftigen Wunsch, sofort umzukehren, doch dann zögert sie. Vielleicht braucht jemand ihre Hilfe?
Mit angehaltenem Atem schleicht sie weiter. Ein, zwei Meter von ihr entfernt knackt es im Unterholz. Da ist jemand, eindeutig. Sie ruft noch einmal und etwas lauter: „Hallo!“
Wieder bekommt sie keine Antwort. Aber sie spürt genau, dass da jemand ist. Carlotta schluckt. Ist das gruselig! Die Härchen auf ihren Unterarmen richten sich auf. Sie nimmt die Kamera hoch, stellt die Zoom-Funktion ein und späht durch den Sucher. Der Fotoapparat wirkt jetzt wie ein Fernglas. Die Blätter tauchen unnatürlich nah vor ihren Augen auf. Als plötzlich etwas aufspringt und in die entgegengesetzte Richtung davonhastet, schreit Carlotta erschrocken auf. Im selben Augenblick stolpert sie über eine dicke Baumwurzel. Sie merkt gar nicht, dass sie ein paarmal auf den Auslöser drückt, sondern konzentriert sich nur darauf, möglichst weich zu fallen.
„Mist!“, flucht sie. Obwohl Laub und Moos ihren Aufprall gedämpft haben, hat sie sich das Knie heftig an der Wurzel gestoßen. Die Kamera ist ihr aus der Hand gefallen. Sie wischt sich die Haare aus dem Gesicht und reibt sich die schmerzende Kniescheibe. Vorsichtshalber bleibt sie ein paar Sekunden sitzen, falls der oder die Was-auch-immer-es-war noch in der Nähe ist, dann rappelt sie sich hoch.
Dem Fotoapparat ist zum Glück nichts passiert. Er hat sich nur automatisch ausgeschaltet. Carlotta schaltet ihn wieder ein und betrachtet die Bilder, die sie im Fallen gemacht hat. Die meisten sind total verwackelt und zeigen nur verwischtes Blattgrün, doch auf zwei von ihnen ist etwas zu erkennen.
Carlotta schiebt die Augenbrauen zusammen. Auf dem einen Bild sind verschwommene blonde Haare zu sehen, auf dem zweiten verschwindet gerade ein Hosenbein hinter einem Busch. Das Bein wirkt auffallend dünn und steckt in pinkfarbenen Jeans.
Carlotta bläst die Wangen auf. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glatt behaupten, dass das Bein Sofie gehört. Die hatte pinkfarbene Röhrenjeans an, als Carlotta sie zuletzt gesehen hat. Auch die blonden Haare würden passen. Aber was sollte Sofie am helllichten Nachmittag in diesem Waldstück machen? Warum sollte sie im Schlosspark herumspuken, wimmern und schluchzen und wie von einer Tarantel gestochen flüchten?
Nein, ausgeschlossen. Carlotta schüttelt den Kopf. Sofie ist in der Musik-AG. Es muss jemand anderes gewesen sein. Aber wer? Sie überlegt, ob sie die Aufnahmen löschen soll, aber ein Blick auf ihre Uhr verrät ihr, dass dafür keine Zeit mehr ist. Die Stunde ist fast vorbei. Sie muss sich beeilen, um pünktlich in den Computerraum zu kommen. Plötzlich hat sie eine Idee. Vielleicht gibt es ja irgendeine Möglichkeit, die Bilder am Computer so zu bearbeiten, dass ein bisschen mehr darauf zu erkennen ist als Haare und ein Bein?
Schön wär’s, denkt Carlotta. Sie wüsste wirklich zu gern, wen sie hinter dem Busch aufgestöbert hat!
Sofie sitzt an ihrem Schreibtisch und macht Hausaufgaben, als Carlotta eine Stunde später von der Foto-AG kommt. Leider hat die digitale Bildbearbeitung am Computer nicht den erhofften Erfolg gebracht. Die unscharfen Aufnahmen aus dem
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