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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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abgegeben als gute, weil zufriedene Kunden ein geringeres Mitteilungsbedürfnis haben als verärgerte. Allerdings sind die Unterschiede zwischen Expertenurteil und gemittelter Nutzermeinung nicht so groß, wie man zunächst annehmen könnte. In einer Anfang 2012 vorgestellten Studie [47] wurden Sachbuchrezensionen aus amerikanischen Zeitungen mit Amazon-Nutzerbewertungen derselben Bücher verglichen. Die Urteile von Experten und Lesern deckten sich, mit zwei Ausnahmen: Die professionellen Kritiker waren strenger als die Amazon-Nutzer, wenn der besprochene Autor vorher noch nichts veröffentlicht hatte (was bei siebzehn Prozent der untersuchten Bücher der Fall war). Sie urteilten dagegen freundlicher, wenn der Autor bereits Preise erhalten (fünfzehn Prozent der Stichprobe) oder anderweitig Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
    Diese Demokratisierung des Bewertens geht mit einer Demokratisierung des Betrügens einher. Verdeckte Einflussnahme ist keine neue Erfindung, und auch bei Produktbewertungen durch Experten waren oft genug Einladungen, Journalistenreisen oder größere Mengen Geld im Spiel. Dasselbe lässt sich jetzt einfacher und billiger bewerkstelligen. Wenn es zum «Jumbo Kauknochen Naturgranit» nur Bewertungen von Käufern gibt, die sich zu keinem anderen Produkt geäußert haben, ist der Hintergrund der Auskünfte schwer einzuschätzen. Vielleicht sind die begeisterten Anhänger Familienangehörige und Angestellte des Kauknochenherstellers [9] . Auch ein Nutzer mit Vorgeschichte muss nicht unbedingt objektiv sein. Anfang 2004 wurden auf der kanadischen Amazon-Website durch ein Versehen die Identitäten einiger tausend Buchrezensenten aufgedeckt, die sich bei Amazon US unter Nutzernamen wie «ein Leser aus New York» geäußert hatten. Prominente Autoren, die ihre eigenen Bücher mit Fünf-Sterne-Rezensionen versehen hatten, verteidigten sich damit, sie hätten nur der Schwemme unqualifizierter Verrisse etwas entgegensetzen wollen, es bleibe einem ja quasi gar nichts anderes übrig.
    Das Nutzerempfehlungssystem ist eins von vielen in diesem Buch beschriebenen Systemen, in denen unvereinbare Interessen ständigen Weiterentwicklungsbedarf erzeugen. Wo eine Pflanze entsteht, da folgt bald ein Tier, dem sie schmeckt; die Pflanze lässt sich Stacheln wachsen, das Tier entwickelt ein robusteres Maul … Es ist ein ewiges Hin und Her zwischen «gaming the system» – dem Ausnutzen von Schwächen im System – und der Einführung neuer Regeln, die die Funktionsfähigkeit des Filtersystems erhalten sollen.
    In mancher Hinsicht wäre es sinnvoll, Bewertungsplattform und Verkäufer zu trennen, also zum Beispiel Produktbewertungen nicht bei Amazon abzugeben, sondern auf einer separaten Website. Dass bei Amazon beides zusammenfällt, verschafft dem Unternehmen verlockende Möglichkeiten der Einflussnahme. Andererseits treibt Amazon erheblichen Aufwand, um die Brauchbarkeit der Empfehlungen zu erhalten. Das müsste auch jeder andere Anbieter einer Empfehlungsplattform tun – und dieser Aufwand ist teuer. Wenn von den Nutzern aber kein Geld an den Betreiber des Angebots fließt, wie das zum Beispiel bei vielen Restaurant-, Hotel- und Ferienwohnungsportalen der Fall ist, wird sich der Anbieter eher den Interessen der zahlenden Inserenten verpflichtet fühlen. Man wird also nur halbherzig versuchen, die Irreführung zu unterbinden. Da es Nutzerbewertungen aber erst seit fünfzehn Jahren gibt, besteht Hoffnung, dass sich eines Tages bestimmte Mindeststandards etablieren werden, vielleicht sogar anhand von Nutzerbewertungssystemnutzerbewertungen.
    Im Laufe der nuller Jahre wurden Nutzerbewertungssysteme in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. Amazon hat seine Verfahren zur Meta-Bewertung, also zur Einstufung der eigentlichen Bewertungen, immer weiter verfeinert [48] . Im heutigen System können Leser mit einer (und nur einer) Stimme angeben, wie hilfreich eine Bewertung ist. Amazon nutzt diese Stimmen mit Hilfe eines komplizierten Gewichtungssystems für die gesondert angezeigte «Hilfreichste positive Rezension», die «Hilfreichste kritische Rezension» sowie für die Reihenfolge, in der die Bewertungen angezeigt werden. So kann etwa jemand, der Amazon einmal als Freund, Verwandter oder Fan eines Rezensenten bekannt ist, dessen Rezensionen zwar noch bewerten, seine Meinung wird aber nicht mehr mitgezählt.
     
    Nutzerbewertungen müssen nicht unbedingt aktiv abgegeben werden. Auch Verkaufsranglisten bei

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