Internet – Segen oder Fluch
erfuhr der Buchmarkt einen Schub durch die Vielzahl der Abenteuer-Romane, die dem Erfolg von Daniel Defoes «Robinson» nacheiferten, eine eigene Romangattung entstand, die «Robinsonade». In der Folge gingen Abenteuer-Romane, speziell auf Inseln spielende, ungefähr so gut wie Sachbücher mit dem Titel «Das Irgendwas-Prinzip» 2010 in Deutschland. Der Verdacht liegt nahe, dass die verlegerischen Kriterien für diese Bücher sich vom ersten großen Haufen ableiteten, auf den der Teufel anschließend zu scheißen pflegt.
Auch die besten Experten können nicht in die Köpfe der Zielgruppe sehen, sondern deren Interessen nur raten. Das Ergebnis entspricht nicht immer den Wünschen der Leser. Viel Gedrucktes findet keine Käufer und wird nach kurzer Zeit geschreddert und zu Klopapier verarbeitet. Anderes bleibt unveröffentlicht, obwohl vielleicht Interesse daran bestanden hätte. Richard Nash, Gründer des Independent-Verlags
Soft Skull Press
und des Buch-Start-ups
Cursor
schrieb 2011 in seinem Blog: «Wir neigen dazu, so zu tun, als sei das Verlagsmodell der letzten hundert Jahre perfekt gewesen, aber man braucht nur an die ganzen Kleinverlage zu denken, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind und ‹National Book Award›-Preisträger herausgebracht haben, Pulitzer-Preisträger, Nobelpreisträger. Was war denn früher mit diesen Büchern? Sie wurden nicht veröffentlicht.»
Verlage, Agenturen und Redaktionen sind «Gatekeeper», also Türhüter: Ein Gatekeeper öffnet nicht nur die Tür, sondern verhindert auch Veröffentlichungen. Eine Buchhandlung, eine Bibliothek, die Google-Suche oder Textempfehlungen durch Facebookfreunde hingegen sind Filter. Sie machen bestimmte Inhalte sichtbarer, während andere etwas weiter in den Hintergrund rücken. Was der Google-Suchalgorithmus für irrelevant hält, existiert weiterhin, es ist nur ein paar Klicks weiter entfernt. Amazon-Chef Jeff Bezos wies Anfang 2012 in einem Brief an Investoren darauf hin, dass auch Gatekeeper, die es nur gut meinen, Innovationen ausbremsen: «Auf einer Selbstbedienungsplattform kann man auch Ideen mit geringen Erfolgsaussichten ausprobieren, weil es keine Experten gibt, die ‹das klappt nie!› einwenden könnten. Und dann kommt es doch anders – viele von diesen Ideen sind gut, und die Gesellschaft profitiert von dieser Vielfalt.»
Erst verbessern, dann veröffentlichen
Nach der grundlegenden Auswahl, was gedruckt werden soll, erfolgt eine genaue Überprüfung der einzelnen Argumente. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis hält sich die Qualitätskontrolle aus Zeit- und Geldgründen in Grenzen. Regelungen wie in den
Spiegel
-Statuten sind die Ausnahme: «Alle im
Spiegel
verarbeiteten und verzeichneten Nachrichten, Informationen, Tatsachen müssen unbedingt zutreffen. Jede Nachricht und jede Tatsache ist … peinlichst genau nachzuprüfen.» Der
Spiegel
beschäftigt zu diesem Zweck eine Dokumentations- und Rechercheabteilung mit über achtzig Mitarbeitern. Wenn achtzig Personen nötig sind, um einmal pro Woche 150 Seiten zu überprüfen, dann ist das ein Aufwand, den nicht alle Redaktionen und Verlage leisten können. Dass nicht alles Gedruckte sorgfältig genug korrigiert wird, ist meistens nur lästig [41] , manchmal aber auch gefährlich, wie ein Rechtsstreit um die
Encyclopedia of Mushrooms
aus dem Verlag Putnam’s Sons zeigt. Die Kläger hatten sich bei der Bestimmung von Pilzen auf das Buch verlassen. Die angeblichen Speisepilze waren giftig, beide Kläger benötigten Lebertransplantationen. Im Buch waren zwei Bilder vertauscht worden, eines davon zeigte den Grünen Knollenblätterpilz. Der Verlag wurde freigesprochen.
Bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind die Überprüfungs- und Korrekturverfahren stärker formalisiert. Wissenschaftliche Artikel durchlaufen in einem ersten Schritt denselben Prozess wie Bücher oder Zeitungstexte: Die Redaktion einer Zeitschrift begutachtet den Beitrag und lehnt alles ab, was zu unwichtig ist oder nicht den formalen und inhaltlichen Standards genügt. Bei den großen Wissenschaftszeitschriften fallen über neunzig Prozent der Einsendungen durch dieses Raster. Hat eine Einreichung diese Hürde genommen, folgt in einem zweiten Schritt das «Peer Review»-Verfahren: Ein Redakteur schickt den Beitrag an einen oder mehrere Wissenschaftler mit dem entsprechenden Fachgebiet. Die Texte sind anonymisiert, denn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kennen sich Autor und Reviewer oder
Weitere Kostenlose Bücher