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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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aufgenommen werden sollten, woraufhin die Inklusionisten respektlose Geräusche machen. Beide Seiten zerren permanent an den Kriterien für diese Relevanz und ihrer Interpretation [44] .
    Während anderswo im Internet bequemere und laienfreundlichere Verfahren zum Bearbeiten von Inhalten entstanden sind, verharrt die Wikipedia technisch auf dem Stand der frühen nuller Jahre [45] . Für Nutzer, die sich beteiligen wollen, ist es nicht einfach, in das Gestrüpp von Formatierungsbefehlen, historisch gewachsenen Konventionen und Richtlinien einzudringen. Alteingesessene Editoren verteidigen sich gegen neue, Unternehmen und Lobbyorganisationen werden immer geschickter darin, Wikipediaeinträge mit dem passenden Spin zu versehen, lang anhaltende
edit wars
toben um wichtige Themen wie die Frage, was im englischen Wikipediaeintrag zur Berliner Voßstraße mit dem ß geschehen soll. [46]
    Wikipedia-Mitgründer Larry Sanger zog sich 2006 aus dem Projekt zurück und rief eine Alternative namens
Citizendium
ins Leben, die mehr Wert auf Qualitätskontrolle legen und Akademiker stärker einbinden sollte.
Citizendium
-Nutzer müssen sich mit ihrem wirklichen Namen anmelden und Auskünfte über ihre Qualifikationen geben. Alle Beiträge werden von Redakteuren geprüft. Mitte 2012 hatte
Citizendium
weniger als hundert aktive Mitglieder, und nur 160 der rund 16 000  Beiträge waren von Experten überprüft worden. Die Zukunft des Enzyklopädiekonzepts liegt offenbar nicht in einer Rückkehr zu stärkerer Kontrolle durch Experten. 2008 wurde die Brockhaus-Redaktion aufgelöst, die
Encyclopædia Britannica
von 2010 soll die letzte gedruckte Ausgabe des 250  Jahre alten Nachschlagewerks bleiben.
    Alle Enzyklopädien müssen mit ihren Rahmenbedingungen zurechtkommen wie Tiere in einer ökologischen Nische: Die Leser wollen möglichst wenig bezahlen, verlangen große Aktualität und Themenvielfalt bei gleichzeitiger Zuverlässigkeit, und wenn man sie mitmachen lässt, dann wollen sie vorher nicht durch brennende Reifen springen und ihr Abiturzeugnis vorzeigen müssen. Die Wikipedia scheint trotz ihrer Probleme diese Anforderungen im Moment am besten zu erfüllen. Was nicht heißt, dass es nicht eines Tages eine ganz andere Lösung geben kann, die uns heute noch so absurd vorkäme wie vor fünfzehn Jahren ein von anonymen Freiwilligen verfasstes Nachschlagewerk.

Alles zulassen, Hilfreiches gemeinsam herausfiltern
    Das Wikipedia-Modell hat mit dem Konzept der traditionellen Enzyklopädie gemein, dass es nur eine einzige Wikipedia gibt (zumindest pro Sprache) und man sich deshalb irgendwie darüber einigen muss, was sie enthalten soll. Ein anderer Ansatz ist, beliebig viele parallel existierende Auskünfte zu einer Sache zuzulassen. Das leuchtet vor allem für Fälle ein, in denen persönliche Vorlieben eine Rolle spielen, etwa bei der Bewertung von Produkten oder bei Antworten auf Fragen wie «Welche Programmiersprache ist die beste?».
    Das Zusammentragen von Nutzermeinungen ist erst durch das Internet praktikabel geworden. Vorher gab es nichts Vergleichbares, abgesehen von Zeitschriften, die manchmal die Meinungen ihrer Leser zu Produkten erhoben, auf dem Postweg. Zur Beliebtheit von Amazon trugen Nutzerbewertungen von Anfang an entscheidend bei.
    Wie jeder neue Lösungsansatz bringt auch dieser neue Probleme mit sich. Der Hauptvorwurf von Expertenseite lautet, die Nutzer seien gar nicht kompetent, um sich überhaupt ein Urteil etwa über Bücher zu bilden. Allerdings werden Bücher nicht in erster Linie für Rezensenten geschrieben, Hotels nicht nur für Hotelkritiker gebaut. Wer ein Buch gelesen oder in einem Hotel geschlafen hat, der hat eine Meinung darüber, und diese Meinung kann anderen Laien helfen. Ein Experte weiß zweifellos, dass man für neunundzwanzig Euro pro Nacht keinen frischgepressten Orangensaft zum Frühstück erwarten kann und ein wissenschaftliches Sachbuch nicht immer so spannend ist wie ein Krimi. Aber wenn es Hotelgäste gibt, die das Fehlen des frischgepressten Orangensaftes überraschend finden und in ihrer Bewertung anprangern, dann gibt es mit ziemlicher Sicherheit auch Leser von Hotelkritiken, die ebenfalls frischen Orangensaft im Billighotel erwarten. Nutzerbewertungen und Gerechtigkeit stammen von unterschiedlichen Planeten.
    Denkbar ist auch, dass die bewertenden Nutzer sich beispielsweise von gutem Wetter oder Liebeskummer beeinflussen lassen. Und vielleicht werden generell eher schlechte Bewertungen

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