Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
Vom Netzwerk:
Zweifel für die Rechtskonformität des Internets. Oder: Im Zweifel für die Freiheit des Internets. Diese gegensätzlichen Interpretationen zeigen, dass es sich im Grunde um ein nicht lösbares Prioritätenproblem handelt. Die Befürworter sahen ihre Rechtsauffassung zum Schutz der Familie als Maßstab, der überall gelten müsse. Die Gegner der Netzsperren betrachteten das Internet als ihre digitale Heimat, deren Freiheit um jeden Preis verteidigt werden müsse. Diese Differenz macht Verhandlungen so einfach und erfreulich wie eine Vermählung von Gletscher und Vulkan.
    Natürlich verlief die Diskussion deshalb inhaltlich völlig erfolglos, aber immerhin trug die Lautstärke zur Mobilisierung bei. Die E-Petition gegen Netzsperren 2009 auf den Servern des Bundestages war die bis dahin erfolgreichste Petition und setzte mit rund 134 000  Unterzeichnern ein eindrucksvolles Zeichen. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor konnte selbst die wochenlange Unterstützung der
Bild
-Zeitung für eine Petition gegen hohe Benzinpreise nur 128 000  Mitzeichner bewegen.
    Der Netzsperrenstreit brachte in Deutschland erstmals einen Konflikt ins öffentliche Interesse, der in den nächsten Jahren viele Diskussionen beherrschen wird: Wie wichtig und wie unantastbar ist der ursprüngliche Zustand des Internets? Welche regulierenden Maßnahmen können und sollen von staatlicher und privater Seite ergriffen werden? Und wie setzt man sie technisch durch?
    Selbst China schafft es trotz erklärten Willens zur Kontrolle des chinesischen Internets mit dem Milliardenprojekt der «Großen Firewall» samt Tausenden Zensoren nicht, halbwegs Sachkundige davon abzuhalten, durch ein paar Klicks fast sämtliche Filter- und Zensurmaßnahmen zu umgehen. Allerdings gilt diese Einschränkung nur für einen mittelkleinen Haufen Nerds, nicht für die breite Masse der Bevölkerung. Im Falle China lässt sich nur spekulieren: Nimmt der Staat vielleicht einfach in Kauf, dass einige Wenige die Zensurmaßnahmen umgehen, weil es ihm ohnehin nur um die breite Masse geht? Oder, eine besonders perfide Variante: Lässt der Staat genau diese Möglichkeit zu, weil die Zensoren so die Zensurbrecher identifizieren und die potenziellen Systemfeinde im Netz beobachten können?
     
    Die Diskussion um Zensur im Netz ist dementsprechend eine Debatte um die Möglichkeiten der Vielen – und nicht um die theoretischen Möglichkeiten von Spezialisten. Dass die Löschung bestimmter Inhalte sinnvoll sein kann, ist nicht allzu stark umstritten, denn völlige Kommunikationsanarchie herrscht beinahe nirgendwo. Allerdings zeigen sich in der Frage, was und wie reguliert werden soll, starke kulturelle Unterschiede. In den USA etwa ist die freie Meinungsäußerung ein ausgesprochen hohes Gut, wohingegen der Jugendschutz im Netz weniger wichtig genommen wird. Auf pornographischen US -Seiten findet sich oft gar keine Altersprüfung oder nur die simple Frage nach dem Geburtsjahr; in Deutschland dagegen ist um Altersverifikationssysteme eine Millionenindustrie entstanden. Auch die Frage, gegen welche Inhalte Menschen vorgehen können, die persönlich betroffen sind, wird unterschiedlich betrachtet. Es gibt verschiedene Auffassungen, ab welchem Beleidigungsgrad die Löschung eines Kommentars durchgesetzt werden kann. Oder welche Freiheiten Kunst, Satire oder Journalismus in den Geschmacksrichtungen investigativ und yellowpress genießen.
    Wenn sich immer größere Bereiche des Lebens in das Netz verlagern, entsteht dort auch automatisch größerer Regulierungsbedarf. Die wichtigsten Gründe für die Regulierung von Internetinhalten sind: politische Verbote, Jugendschutz, Persönlichkeitsrechte und der Schutz geistigen Eigentums – interessanterweise weitgehend unabhängig davon, ob sie in autoritären oder demokratischen Staaten angeführt werden. In religiös orientierten Staaten kommen noch Gotteslästerung und Verwandtes dazu.
    Es ist aber gar nicht so leicht zu definieren, wo die sinnvolle Regulierung aufhört und die böse, schädliche Zensur anfängt. Es ist nicht einmal klar, ob es sich bei beidem nicht um dasselbe handelt, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. So scharf der Vorwurf der Zensur schneidet, so unscharf ist die Grenzlinie zwischen gesellschaftlich akzeptierter Begrenzung der freien Meinungsäußerung und der nicht akzeptierten Zensur. Wenn man überhaupt von einer Grenzlinie sprechen kann, tatsächlich ist es eher ein breiter Grenzstreifen im Niemandsland. Eine große

Weitere Kostenlose Bücher