Internet – Segen oder Fluch
könnten eine schnellere und zuverlässigere Durchleitung der Inhalte bekommen. Umgekehrt könnten Inhalteanbieter dafür bezahlen, dass ihre Seiten schneller bei allen Usern ankommen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern. Schließlich könnten auch Zugänge zu verschiedenen Diensten unterschiedlich bepreist oder sogar blockiert werden. Nach Ansicht der meisten Netzaktivisten würde dies das Ende des freien Internets bedeuten. Denn dann gäbe es ein hochqualitatives Netz für diejenigen, die bezahlen können, und ein minderwertiges für die anderen.
Die beiden
ZEIT
-Redakteure Thomas Fischermann und Götz Hamann, die mit ihrem Buch «Zeitbombe Internet» den Preis für den alarmistischsten Buchtitel des Jahres 2011 verdient haben, sehen eine solche Zweiteilung des Netzes nicht als Risiko, sondern als Chance. Sie plädieren für ein «rotes» und ein «grünes» Internet, das eine weiterhin anarchisch, offen und gefährlich, das andere sicher, durchkontrolliert und familienfreundlich. Dieses Ziel ist allerdings einigermaßen unerreichbar. Sogar vom offenen Internet völlig abgetrennte, lokale Netzwerke, wie beispielsweise die Steuerungsanlage iranischer Uranzentrifugen, konnten mit ein paar Tricks mit einem Virus infiziert werden, der über das Internet kam. Im Fall Stuxnet, eines zur Zerstörung dieser Anlagen programmierten Virus, fand die Übertragung händisch und vermutlich versehentlich statt, mit Hilfe eines USB -Sticks, den Mitarbeiter zum Transport von Fotos und Musik vom Heimrechner zum Atomanlagenrechner verwendeten.
Ein anderer Grund, warum die Netzneutralität heute in Frage gestellt wird, sind die enormen Kosten für den Ausbau der Infrastruktur. Denn obwohl immer schnellere und bessere Leitungen und Leitungstechnologien verlegt und eingesetzt werden, lassen sich die Preise für Endkunden nur sehr begrenzt anheben. Wer einmal eine Internet-Flatrate für 19 , 99 Euro monatlich hatte, ist nur sehr schwer dazu zu bewegen, je wieder das Dreifache auszugeben. Also suchen sich die Infrastrukturanbieter Ausweichmöglichkeiten bei der Refinanzierung und versuchen Facebook und Google dazu zu bewegen, für den vielen Traffic zu bezahlen, den ihre Nutzer verursachen. Oder klopfen bei YouTube an, ob garantierte Bandbreiten und damit ruckelfreie Filme nicht etwas Kleingeld wert wären. Beide Ansätze würden die Netzneutralität verletzen, weil sie bestimmte Daten bevorzugen oder für die Übertragung sowohl beim Sender wie beim Empfänger kassieren würden.
Die Debatte um die Netzneutralität zeigt aber auch, dass keine Regulierung auch keine Alternative ist, wenn der Fortbestand des heutigen Internets gesichert werden soll. Es käme ohne Regulierung vermutlich nicht nur zu zwei, sondern zu vielen, zersplitterten Unternetzen, geteilt nach der Bereitschaft, wie viel Geld der Nutzer bereit wäre zu zahlen. In der Diskussion um das Netz hat damit aufseiten der Aktivisten spätestens Ende der nuller Jahre ein bemerkenswerter Wandel stattgefunden: Es geht inzwischen nur noch um die richtige Form der Regulierung. Wollte Barlow noch vom Staat in Ruhe gelassen werden, sind sich die meisten Aktivisten heute einig, dass der Staat das Netz vor den vermeintlich zersetzenden Geschäftsmodellen der Telekommunikationsfirmen schützen müsse. Nach Ansicht vieler Kämpfer für die digitale Freiheit muss also der Staat per Zwang die Freiheit garantieren. Das macht die Problematik offenkundig: Freiheit erzwingen bedeutet, Freiheiten gegeneinander abzuwägen und die eine zugunsten der anderen zu beschneiden.
Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, Direktorin des (hauptsächlich von Google finanzierten) Forschungszentrums für Internet und Gesellschaft in Berlin, hat die Verschiebung in der Perspektive an sich selbst beobachtet, wie sie in einem Interview mit dem Magazin
politik-digital.de
erzählt: «Ich komme selbst aus einer eher libertären Ecke. Auch die gesamte Netzgemeinde der neunziger Jahre hat sich sehr gegen staatliche Eingriffe gewehrt. Doch aus meiner Sicht war das eindeutig zu kurz gesprungen.» Neben der Netzneutralität sieht sie eine ganze Reihe von Bereichen, die der Regulierung und Kontrolle durch den Staat bedürfen, wenn die Freiheit des Internets erhalten werden soll: «Staatliche Eingriffe halte ich darüber hinaus auch in punkto Datenschutz und Menschenrechte für nötig. Es kommt ja auch immer wieder die Idee auf, dass es einer weltweiten Charta bedarf, um die Rechte der Nutzer im Internet zu
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