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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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Richtung Kontrollierbarkeit verschoben – und damit zu einem Teil auch das Netz. Apple ist bekannt für seine aus europäischer Sicht sehr rigide Politik, was erotische und pornographische Inhalte angeht, schon häufiger wurden Apps aus dem AppStore entfernt, die ein obszönes Wort enthielten oder in denen eine weibliche Brustwarze zu sehen war. Als Apple-Gründer Steve Jobs noch lebte, kursierte ein verräterischer Witz: «Hey Steve, es gibt eine App, da finde ich unendlich viel Pornographie auf dem iPhone. Sie ist von Apple und heißt Safari» (Safari ist der appleeigene Browser). Verräterisch ist der Witz, weil er auf eine Sollbruchstelle hindeutet: Apple könnte jederzeit eine neue Software-Version des Browsers Safari für Mobilgeräte herausbringen, mit der das Netz durch einen zentralen Server gefiltert würde. Apple könnte dann beeinflussen, welche Inhalte abgebildet werden und welche nicht. Der Sicherheit vor Viren und anderen digitalen Schädlingen wäre das sicher sehr zuträglich – aus Sicht von Netzaktivisten wäre es ungefähr das Schlimmste, was passieren könnte, gleich nach einem Stromausfall. Der offenen Struktur Internet würde damit ein zentralistisches Kontrollsystem übergestülpt. Das Beispiel zeigt, dass sich der Konflikt zwischen Kontrolle und Freiheit im Internet auf mehreren Ebenen gleichzeitig abspielt.
    Tim Wus Buch «The Master Switch» widmet sich einem Phänomen, das mit diesem Standardkonflikt der Zivilisation einhergeht: Es besteht darin, dass bisher noch jede Informationskultur nach einer Zeit der weitestgehenden Offenheit eine Phase der Einengung erlebte, die schließlich in einem durchregulierten Oligopol mündete. Das Radio, der Stummfilm, der Tonfilm, das Fernsehen – für jedes Medium erzählt Wu die Geschichte nach, wie die freie, anarchische Kultur einem organisierten Markt mit wenigen Anbietern wich. Entscheidend war dabei meist die Regulierung durch den Staat. Und stets ging es darum, den größten, mächtigsten Marktteilnehmern so weit wie möglich entgegenzukommen – auf Kosten der kleineren Konkurrenten oder der Kunden. Volkswirtschaftlich schien das durchaus sinnvoll, wie etwa am Beispiel Radio nachzuvollziehen ist. Als in den USA nach dem Ersten Weltkrieg das wirtschaftliche Potenzial der Radiowerbung offensichtlich wurde (und die publizistische Macht des Mediums), konfrontierten die größten Radioanbieter die Regierung mit einer simplen Rechnung: Durch die minimale Regulierung, argumentierten sie, störten kleine und kleinste Hobby-Radiostationen die wenigen Sendefrequenzen jeweils im Umkreis von einigen Meilen. Die Vermarktung von Radiowerbung und damit die Schaffung eines funktionierenden Medienmarkts sei aber nur möglich, wenn große Radioanbieter ein möglichst großes Publikum erreichen könnten, ohne von Hunderten «Frequenzpiraten» gestört zu werden. Für die Marktoptimierung sei eine Regulierung unbedingt erforderlich. Und so kam es auch, die freie Radiokultur wurde mittels Gesetz in ein Marktkorsett gezwängt.
    Radio, Popadio, na und? – sagt der historisch weniger dringend interessierte Nerd. Doch auch hinter dieser Haltung steht ein Denkmodell. Es heißt «Internet Exceptionalism» und beruht auf der Überzeugung, das Internet sei einzigartig und deshalb mit nichts so richtig vergleichbar. Das hört sich nach der puren Technologiebegeisterung junger Netzeuphoriker an. Aber nur vordergründig. Tatsächlich bestimmt das Denkmodell von der Unvergleichlichkeit des Netzes die Diskussion um das gesamte Internet. Und zwar auch und besonders bei denjenigen, die noch niemals das Wort «Internet Exceptionalism» gehört haben.
    Der Juraprofessor Eric Goldman erklärt den Begriff in der fabelhaften und im Netz kostenlos erhältlichen Essaysammlung «The Next Digital Decade» von 2010 . In seinem Artikel «The Third Wave of Internet Exceptionalism» illustriert er ihn mit einer Begebenheit aus dem Jahr 2005 . Damals betrieb der texanische Unternehmer John Lockwood die Webseite live-shot.com . Lockwood besaß eine Ranch in Texas, auf der viele Tiere lebten, unter anderem Steinböcke, Antilopen und Wildschweine. Auf live-shot.com konnte man gegen eine Gebühr mit der Maus einige schwere Gewehre steuern und auch abdrücken. Internet-Hunting war geboren. Die
FAZ
begann einen Artikel über diese neue Freizeitbeschäftigung mit dem Satz «Das Internet ist um eine Perversion reicher». Aber auch Kirby Brown, Vorsitzender eines texanischen Jägerverbands, reagierte

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