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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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im Netz unterstützen nicht etwa den Nutzer in seinen privaten Interessen. Rubriken wie «Die
besten
Blogbeiträge», «Die von unseren Nutzern gewählten 100
besten
Bücher des letzten Jahres» florieren auch dort, wo es technisch kein Problem wäre, individuellere Filterkriterien anzulegen.
    Während Nutzer bestimmten Autoritäten misstrauen – für die einen sind das Google und Facebook, für die anderen ist es der Staat –, wünschen sie sich gleichzeitig Instanzen, auf die man sich bedenkenlos verlassen kann. Welche Instanzen das sein sollen, ist Geschmackssache: Die einen trauen eher der klassischen Zeitung, die anderen ihrem Freundeskreis, und die Freunde der Filter- und Empfehlungsalgorithmen erhoffen sich von der Technik Auskünfte, die auf einer möglichst großen Datenbasis beruhen und weniger von Eigennutz und privaten Vorlieben durchtränkt sind als die mitmenschlichen Empfehlungen.
    Auch das «Natürliche» kann so eine Autorität darstellen. Wer nach ungefilterten Suchmaschinenergebnissen verlangt, der denkt dabei an eine Art unschuldigen Naturzustand der Daten, ungetrübt durch menschliche Eingriffe. Aber nach irgendeiner Regel müssen die Ergebnisse sortiert sein. Jedes Arrangement wird den Nutzer in seinem Klick- und Leseverhalten beeinflussen. Wenn man gar keine Vorgaben machen will, könnte man die Suchergebnisse allenfalls in alphabetischer oder Zufallsreihenfolge anzeigen. [101] Für die Nutzer ist es aber wenig erfreulich, den ersten brauchbaren Treffer auf Seite  854 der Ergebnisse vorzufinden. Eine neutrale und gleichzeitig sinnvoll nutzbare Sortierung gibt es nicht. Und wenn Google die Suchergebnisse zwar in eine hilfreiche Reihenfolge bringt, aber nicht personalisiert, dann ist das immer noch ein Filter: der des Mainstreams. Seine einfache Regel lautet «Was vielen gefällt, das gefällt wahrscheinlich auch dir». Frank Patalongs oben zitierte Kritik ist völlig berechtigt – nicht personalisierte Suchergebnisse verengen nicht nur den Horizont, sie verengen ihn bei allen Nutzern auf dieselbe Weise.
    Geht man noch einen Schritt zurück, stellt sich heraus, dass schon die bloße Information nicht einfach etwas Gegebenes ist, das unberührt von allen Filtermechanismen ungehindert vom Absender zum Empfänger gelangt. Auch hier gibt es keinen Naturzustand, denn Informationen werden auf jeder Station ihres Weges verändert. Schon die Dokumente, die Google «ungefiltert» auflisten könnte, sind ja ihrerseits Bearbeitungen von Informationen: der Wissenschaftsjournalist übersetzt einen Sachverhalt in eine laienfreundlichere Sprache, der Blogger vertritt eine Perspektive, die in den Printmedien vielleicht zu kurz kommt, der Kommentarschreiber reicht Informationen nach, die dem Originalbeitrag fehlten. Und nicht zuletzt filtert sich der Leser aus dem, was bei ihm ankommt, genau das heraus, was er zur Kenntnis nehmen möchte.

Die Filterbubble im Kopf
    Eli Parisers Beschäftigung mit der Filterbubble begann mit der Feststellung, dass Facebook ihm immer weniger Updates seiner konservativen Freunde anzeigte, weil er ihre Links seltener anklickte oder teilte. Aus dieser Aussage kann man aber auch einen ganz anderen Schluss ziehen als Pariser: Der Autor wäre gern ein weltoffener, vielseitig interessierter Mensch und folgt daher zunächst auch ein paar Konservativen. Das Interesse geht aber dann doch wieder nicht so weit, dass er deren Links tatsächlich anklicken wollte, geschweige denn die verlinkten Beiträge lesen.
    Mit diesem Problem ist Eli Pariser nicht allein. Die Auswertung unseres Verhaltens durch Filter- und Empfehlungsalgorithmen stimmt nicht immer mit unserer Selbstwahrnehmung überein. Wer jahrelang Mainstreamtitel bei Amazon gekauft hat, der bekommt auch welche empfohlen, und wer nie auf die Facebookupdates konservativer Freunde reagiert, bei dem geht der Algorithmus mit einem gewissen Recht davon aus, dass das Interesse an dieser Person oder ihren Gesprächsthemen so groß nicht sein kann. Facebook blendet das aus, womit wir uns weniger beschäftigen, und macht damit schlicht ein vorhandenes Verhaltensmuster sichtbar. Klagen über das Ergebnis sind Klagen darüber, dass Selbstbild und Wirklichkeit auseinanderklaffen.
    Aus seiner kleinen, dunklen Informationshöhle zu entkommen, ist dank Internet zumindest theoretisch viel einfacher als früher. «Nie war weniger aufgezwungene Bubble», wie Felix Neumann in seinem Blog unter fxneumann.de schreibt, «früher zu meinen Schulzeiten,

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