Internet – Segen oder Fluch
von gestern werden. Feuilletonisten werden wehmütig auf die Zeiten zurückblicken, in denen man noch persönlich einkaufen ging. Als man nach langen Überlegungen und dem Besuch mehrerer Läden mündige Kaufentscheidungen traf! Freundliche Gespräche mit Verkäufern führte! Selbständiges Shopping wird dann ungefähr so staatstragend erscheinen wie der Gang zur Wahlurne. Fachleute können sich schon mal warmkritisieren.
Tipps zum Umgang mit der Filterbubble
Soweit sich im Netz konkrete Ratschläge zum Umgang mit der Filterbubble finden lassen, klingen sie recht ähnlich wie die, die Eli Pariser auf der Website zu seinem Buch [105] gibt: Cookies löschen, Geschichte der besuchten Seiten löschen, Geburtsdatum verbergen, inkognito surfen, sich bei Facebook und beim Gesetzgeber beschweren. Aber alle diese Strategien führen nur zurück in den Mainstream, also in eine andere Blase hinein. Wir haben hier deshalb einige Vorschläge versammelt, die ein bisschen mehr Mühe verursachen (und das nicht nur einmal, sondern jeden Tag), aber dafür auch bessere Aussichten auf die Welt jenseits des Tellerrands versprechen.
Wegklickwunsch hinterfragen
Es genügt nicht, von Freunden oder Suchmaschinen Links zu horizonterweiternden Informationen zu bekommen. Man muss das Verlinkte schon auch zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie nach dem Lesen der ersten Absätze eines Textes den dringenden Wunsch verspüren, diesen Text wegzuklicken und Ihre Zeit mit etwas anderem zu verbringen, dann geht im Hintergrund im Gehirn oft etwa Folgendes vor: «Weiterlesen würde mich auf unangenehme Widersprüche in meinen Ansichten aufmerksam machen, womöglich müsste ich nachdenken und am Ende sogar meine Meinung ändern. Schnell weg damit!» Das teilt einem das Gehirn aber nicht ganz so klar mit. Stattdessen tarnt es das Zucken im Klickfinger mit Begründungen wie «Das ist mir jetzt zu mühsam», «Wenn das schon so anfängt», «Ach, aus der Ecke kommt das» oder «Trollerei!». Dasselbe gilt für seit Tagen geöffnete Texte, die man eigentlich noch zu Ende lesen wollte. Das soll nicht heißen, dass man alles Angeklickte auch zu Ende lesen und immer seinen Teller leer essen muss. Vielleicht hat der Verfasser wirklich unrecht, vielleicht ist der Text auch wirklich zu schlecht und langweilig geschrieben. Aber es kostet nur ein paar Sekunden, sich die Frage, was gegen die Lektüre spricht, ins Bewusstsein zu holen, anstatt sie den Reflexen der klickenden Hand zu überlassen.
Klugen Leuten folgen, egal, worüber sie schreiben
Wenn Sie jemanden gefunden haben, der Ihnen intelligent erscheint, ist das eine günstige Gelegenheit, sich über Themen informieren zu lassen, auf die Sie selbst nicht gekommen wären. Folgen Sie der klugen Person auch dann, wenn deren Blog von Koi-Karpfenzucht, Sterbebegleitung oder dem Wirtschaftssystem Patagoniens handelt. Das bringt wiederum neue Probleme mit sich: Eventuell werden Sie auch Quatsch unkritisch akzeptieren, weil er ja von Experten stammt. Und auch kluge Menschen schreiben über die Themen außerhalb ihres Fachgebiets häufig Unfug. Aber als Ergänzung und Ausgleich zu den sonstigen Informationskanälen ist dieses Verfahren trotzdem praktisch.
Aggregatoren nutzen
Ein Nachrichtenaggregator ist eine Website, auf der Links zu Texten gesammelt werden, die ein dahintersteckender Algorithmus, eine Redaktion oder die Nutzer des Dienstes für lesenswert halten. Wenn Sie Lesetipps auf diesem Weg beziehen, verlassen Sie schon mal die «Das Handelsblatt les ich doch nicht»-Bubble. Englische Aggregatoren sind etwa reddit.com , alltop.com oder, wenn Sie sich für Technik interessieren, Hacker News. Aber Aggregator ist nicht gleich Aggregator. Wenn das Filterprinzip nur lautet «Wir sammeln Links zu Texten, die viele Facebook-Likes haben», dann wird das Angebot Ihren Horizont nicht wesentlich erweitern. Filtertechnisch ist es besser, wenn der Anbieter eigene Auswahlkriterien zugrunde legt, wenn also etwa die Nutzer des Dienstes die Links aktiv zusammenstellen. Das ist kein
besseres
Verfahren als anderswo, aber es ist ein
anderes
Verfahren, und darauf kommt es an.
Freunde nicht vorschnell für unzurechnungsfähig halten
Weil man sich etwa in seiner Facebooktimeline nicht auf die Interessen eines bestimmten Freundes einstellen kann, sondern allen Lesern gleichzeitig etwas mitteilt, ergeben sich überraschende Antworten auf die alte Menschheitsfrage: Worüber reden meine Freunde eigentlich, wenn ich
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