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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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Beeinflussung eingesetzt werden.»
    Tatsächlich hatte das von Packard beschriebene Cola-Popcorn-Experiment so nie stattgefunden. Nach heutigem Forschungsstand können unterschwellige Werbebotschaften das Verhalten bestenfalls schwach beeinflussen, und auch das nur dann, wenn der Konsument sowieso schon erwogen hat, Popcorn zu kaufen. Packard hatte allerdings einen Trend losgetreten: Die Besorgnis über unsichtbare Verhaltensbeeinflussungen zog weiter und suchte sich neue Anlässe, zum Beispiel die Frage, ob Heavy-Metal-Platten verborgene satanische Botschaften enthalten. Positiv gewendet findet sich die Idee in jenem Subgenre der Selbsthilfeliteratur wieder, das Leser in die Lage versetzen soll, ihre Mitmenschen durch Körpersprache und andere Tricks unbemerkt zu beeinflussen.
    Es ist schön, sich wie ein ganz einzigartiges Individuum zu fühlen, resistent gegen jede Manipulation von außen. Gleichzeitig ahnen wir, dass wir in ziemlich vielen Lebensbereichen von Technik abhängig sind und dass die in diese technischen Systeme eingeflossenen Entscheidungen unser Verhalten verändern. Das ist ein wenig kränkend. Unerfreulich ist auch die Vermutung, man könnte eventuell gar nicht so einzigartig und individuell in seinen Entscheidungen und Vorlieben sein, sondern Teil einer von der Marktforschung bereits recht präzise ausgeleuchteten Bevölkerungsgruppe. Zum Beispiel ein «Moderner Performer», der mit überraschend hoher Wahrscheinlichkeit im Biomarkt einkauft, sein Auto geleast hat und ein iPhone benutzt. Wenn wir so einzigartig wären, wie wir uns fühlen, könnten Empfehlungsalgorithmen nicht funktionieren, deren Vorschläge auf dem Verhalten anderer Menschen beruhen. Angesichts dieser Zumutungen gerät unsere Vorstellung vom autonomen Ich ins Wackeln. Da ist es beruhigend, wenn hin und wieder jemand eine empörende Manipulation aufdeckt. Wir rufen nach dem Gesetzgeber, der ein Pflaster auf die Stelle kleben soll. Und weil wir die Manipulation jetzt durchschauen, fühlen wir uns wieder wie kritische Staatsbürger und nicht wie Rädchen im Konsumgetriebe.

Autoritäten, beliebte und weniger beliebte
    Hinter der Kritik an der Filterblase steckt unter anderem der Glaube, es gebe einen objektiven Maßstab für die Wichtigkeit bestimmter Informationen. Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wird im Buch «The Facebook Effect» mit der Aussage zitiert: «Ein Eichhörnchen, das vor deinem Haus stirbt, kann für dich in diesem Moment wichtiger sein als Menschen, die in Afrika sterben.» Wie zynisch, lautet die handelsübliche Reaktion, natürlich sind die Menschen in Afrika wichtiger. Aber die Frage ist nicht so einfach, wie das Eichhörnchenbeispiel suggeriert. Was ist wichtiger, der Bürgerkrieg in Syrien oder der Drogenkrieg in Mexiko? Die Kriegsopfer in Afghanistan oder die runde Million Menschen, die pro Jahr weltweit an den Folgen von Autounfällen sterben? Ein Fußball- WM -Viertelfinalspiel mit deutscher Beteiligung oder die Landtagswahlen in Niedersachsen? Vielleicht war das sterbende Eichhörnchen das erste Opfer einer neuen Eichhörnchengrippe, die mehr Opfer fordern wird als Krieg und Autoverkehr zusammen? Und Anhänger von Religionen, in denen Eichhörnchen heilige Tiere sind, kommen sicher zu noch ganz anderen Einschätzungen. Wer erklärt, dass es wichtig ist, dass alle Menschen die gleichen Informationen oder Informationen zu den gleichen Themen zur Kenntnis nehmen, der behauptet damit: «Ich kenne die richtigen Kriterien, nach denen wir unsere Informationsströme organisieren müssen.» Das ist exakt die Haltung, die Eli Pariser an Google, Facebook und anderen Anbietern kritisiert.
    So unbeliebt fremde Maßstäbe für die Auswahl von Informationen oder Empfehlungen sein mögen, so beliebt sind die eigenen. Journalisten und Redakteure, die gerade noch entscheiden durften, welche Informationen für andere Menschen wichtig sind, geben dieses Recht nicht gern ab. Es sind zwei unvereinbare Annahmen, die sich hier begegnen: auf der einen Seite der Glaube an irgendein absolut Bestes – die besten Kommentare, die wichtigsten Nachrichten –, das geschulte Fachleute schon herausfinden werden. Auf der anderen Seite steht der Glaube an persönliche Interessen und Vorlieben als Maß aller Dinge. Das ist ein alter Streit, der historisch bisher vor allem in der Kunstkritik stattfand. Und es ist keineswegs so, dass auf Papier die eine Meinung vorherrscht und im Netz die andere. Auch Kultur- oder Informationsangebote

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