Intimitaet und Verlangen
für sich benutzte. Sie borgte sich von ihrem Mann und ihren Kindern Funktionsfähigkeit aus und schränkte dadurch deren Leben und Funktionsfähigkeit ein. Ich wies sie darauf hin, dass dieses Muster demjenigen ihrer Mutter ähnele. Sue versuchte, dies abzustreiten. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich beruhigt hatte und zu einem Vertrauenssprung bereit war.
Sue explodierte: »Sie hören mir gar nicht zu!«
» Natürlich höre ich Ihnen zu. Ich stimme Ihnen nur nicht zu. Und ich reagiere nicht auf Sie. Was Sie sagen, wird dadurch, dass Sie brüllen, nicht zutreffender, auch wenn Sie es so empfinden mögen.«
»Sie entwerten meine Gefühle und versuchen, mich zu verunsichern.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, Ihre Gefühle zu bestätigen. Ich will Ihnen helfen, mit Ihren Gefühlen zurechtzukommen, weil sie in Ihrem Leben und im Leben der Menschen, mit denen Sie Umgang pflegen, den Ton angeben.«
»Ich weià nicht, ob ich mich in Ihrer Gegenwart so sicher fühle, dass ich mit Ihnen arbeiten kann.«
»Das sehe ich auch so. Sie fühlen sich in meiner Gegenwart nicht sicher. Aber wenn wir so lange warten, bis Sie sich mir gegenüber sicher fühlen, kann ich Ihnen nicht so helfen, wie es eigentlich nötig wäre. Wenn ich mich nur in den Bereich vorwage, in dem Sie mein Eingreifen gut ertragen können, lernen Sie niemals, mehr zu ertragen. Und wenn ich nicht auf Dinge zu sprechen komme, die Sie nervös machen, bin ich Ihnen ebenfalls keine Hilfe.«
»Wie kann ich mit Ihnen arbeiten, wenn Sie mich nervös machen, statt mir Sicherheit zu vermitteln? Ich fühle mich Ihnen gegenüber nicht sicher!«
»Ich fühle mich in Ihrer Gegenwart auch nicht sicher.« Meine Antwort überraschte Sue völlig.
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie Angst vor mir haben?«
Ich lieà einige Augenblicke verstreichen, um die Situation nicht noch weiter aufzuheizen, und sagte dann mit bewusst ruhiger Stimme: »Ich habe Angst um Sie . Es ist nicht einfach, Sie zu konfrontieren. Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass Sie dann diesen Raum verlassen und nie mehr wiederkommen. Wenn ich meine Arbeit tue, ist die Wahrscheinlichkeit groÃ, dass Sie mich an die Luft setzen.«
Darauf reagierte Sue umgehend. »Ich werde Sie nicht an die Luft setzen. Sie sind der einzige Mensch, der keine Angst vor mir hat.« Sue wechselte so schnell ihre Strategie, dass es schwierig war, ihr zu folgen. Zumindest merkte ich mir, dass sie dazu in der Lage war.
»Oh ⦠dann kann ich mich ja sicherer fühlen.«
»Warum fühlen Sie sich deswegen sicherer?«
»Weil ich dann weniger Angst um Sie und um meinen Job zu haben brauche.«
Sue lachte. »Sie haben gar keine Angst davor, Ihren Job zu verlieren. Ihre Praxis läuft doch gut.« Sie hatte sich so schnell wieder aufgerappelt, wie sie vorher zusammengebrochen war.
Ich lächelte. »Das ist wahr. Aber ich habe weniger Angst um Sie, wenn ich sehe, wie Sie sich wieder hochrappeln, nachdem Sie die Kontrolle über sich verloren hatten. Warum haben Sie Angst davor, dass ich Angst vor Ihnen haben könnte?«
»Weil ich andere Menschen tyrannisiere und viel herumbrülle. Ich könnte Ihnen das Gefühl vermitteln, unzulänglich zu sein.« Sues Bekenntnis war atemberaubend.
»Meinen Sie, dass Sie dazu in der Lage sind?«
»In meinen besseren Augenblicken ja.« Dies war tatsächlich einer von Sues besseren Augenblicken. Sie stand vor einem Vertrauenssprung .
»Wenn das einer Ihrer besseren Augenblicke ist, können Sie gerne hin und wieder die Kontrolle über sich verlieren, falls Sie Lust dazu haben, denn es ist eine Freude mitzuerleben, wie Sie sich wieder aufrappeln.«
Wieso hatte Sue sich wieder beruhigt? Ich hatte mich nicht von ihr überrennen oder umgehen lassen. Ich hatte ihr auch nicht gesagt, was sie tun sollte, mich aber andererseits nicht von ihr abgewandt, sondern mir angesehen, was sie tat (und was nicht). Zuerst war sie wütend auf mich. Ich schaffte es, mit ihr in Kontakt zu bleiben und nicht defensiv zu reagieren. AuÃerdem bot ich ihr eine kollaborative Allianz an, und das hatte sie nicht im Entferntesten erwartet. Ich sprach sehr direkt mit ihr, und sie wurde reflexiver.
Bisher war klar gewesen, dass Sues Reflexionsfähigkeit sehr schnell nachlassen konnte und dass sie häufig in einem miserablen Zustand war. Doch
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