Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intimitaet und Verlangen

Intimitaet und Verlangen

Titel: Intimitaet und Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schnarch
Vom Netzwerk:
»feindselige Naturkräfte« (d.h., die natürliche Auslese im Sinne Darwins) war allein nicht Grund genug, die Mentalisierungsfähigkeit zu entwickeln. Die dazu erforderlichen Reize und Belohnungen waren verstärkte Kontakte zu anderen Menschen. 11 Ihr höher entwickeltes Bewusstsein ist großenteils damit beschäftigt, die den Handlungen anderer Menschen zugrunde liegenden Gedanken und Gefühle zu identifizieren. 12
    Vor der Entwicklung dieser Theorie verstand man die Kommunikation ähnlich wie naive Ehetherapeuten: Man ging schlicht von der Annahme aus, Sinn und Zweck von Kommunikation sei es, Informationen zu übermitteln. Man glaubte, Sender und Empfänger einer Nachricht profitierten von klaren, zutreffenden und ehrlichen Botschaften. Irgendwann jedoch stellte sich heraus, dass viele Tiere die Kommunikation benutzen, um einander zu manipulieren, statt Informationen zu übermitteln. Alle großen Affenarten können sich Alternativsituationen vorstellen – wie ihre Täuschungsmanöver zeigen. Kalkulierte intelligente Täuschungen kommen bei Schimpansen gelegentlich und bei Pavianen kaum vor, sie sind aber unter Menschen sehr verbreitet. Mentalisieren erleichtert den Aufbau von Allianzen erheblich, und Allianzen sind bei der Kommunikation zwischen Menschen ein Schlüssel zum Erfolg. Andere zu täuschen und Täuschungen zu erkennen könnte auch einer der wichtigsten Gründe dafür gewesen sein, dass Menschen die Fähigkeit zu mentalisieren entwickelten. 13 Täuschungspielt in der menschlichen Kommunikation eine so wichtige Rolle, dass unser Gehirn vorrangig darauf programmiert ist, sie zu entdecken. 14
    Mentalisieren beginnt früh
    Die ersten Anfänge des Mentalisierens zeigen sich kurz nach der Geburt. Schon im ersten Lebensjahr lernen wir zu verfolgen, worauf die Aufmerksamkeit anderer gerichtet ist, und ihre Intentionen zu erkennen. 15 Wir orientieren uns dann auf das hin, worauf andere Menschen fokussieren, und wir deuten auf Objekte, die sie zu interessieren scheinen. Wir suchen »Augenblicke der Begegnung«, in denen wir mit anderen »gemeinschaftliche Aufmerksamkeit« erleben. 16 Im Alter von etwa 12 Monaten sind wir auch schon in der Lage, die Aufmerksamkeit unserer Eltern durch Fingerzeige auf Objekte oder Ereignisse, die uns interessieren, zu lenken, und wenn wir unsicher sind, schauen wir uns ihre Gesichter an und versuchen, deren Ausdruck zu deuten.
    Mit 18 Monaten können wir erkennen, dass der Blick eines anderen Menschen auf ein Objekt gerichtet ist, das wir selbst nicht wahrnehmen. 17 Wir verstehen dann, dass jemand, der ein Objekt anschaut, mit einem Finger darauf deutet oder seine Aufmerksamkeit auf ein Ereignis fokussiert, dadurch eine mentale Verbindung zu dem betreffenden Phänomen herstellt. Aufgrund persönlicher Erfahrung wissen Sie, dass zwischen zwei Menschen eine Verbindung entsteht, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf das gleiche Objekt oder Ereignis richten. 18 Dieses gemeinschaftliche Fokussieren der Aufmerksamkeit ist charakteristisch für die ersten Erlebnisse von Intimität.
    Im Alter von 18 bis 24 Monaten entwickeln wir die Fähigkeit, zwischen uns selbst und anderen zu unterscheiden; dies markiert den Übergang vom Säuglingsalter zur frühen Kindheit. In diesem Alter erkennen Kinder sich im Spiegel, und sie sind in der Lage, sich im Geist Phantasiespielen zu widmen. Sie fangen nun an, beim Spiel mit anderen Kindern zu kooperieren, und sie führen einfache altruistische Handlungen aus. Sie imitieren und vervollständigen Handlungen, die sie einen anderen haben ausführen sehen, der sein Vorhaben nicht hat zum Abschluss bringen können. 19 Sie lächeln, wenn sie eine Aufgabe erfolgreich bewältigt haben, und sie geben ihren Wünschen deutlich hörbar Ausdruck. 20 Vor allem jedoch ist ihnen nun klar, was eine Vorspiegelung oder Täuschung ist – eine Fähigkeit, die voraussetzt, dass sie die Absichten anderer Menschen erkennen. 21
    Im Alter von zwei Jahren sind Kinder mit ihren Emotionen und Wünschen beschäftigt, und sie sprechen ständig darüber, was sie sich wünschen, was siewollen und was sie hoffen. Außerdem wissen sie, dass es Schmerz bereitet, etwas zu wollen, aber nicht zu bekommen. Mit drei Jahren haben sie gelernt, dass sie zutreffend voraussagen können, was jemand tun wird, indem sie herausfinden, was der Betreffende will.

Weitere Kostenlose Bücher