Intimitaet und Verlangen
Aspekte schwach sind, sind Sie nicht frei, und die Menschen in Ihrer Umgebung ebenso wenig. Im vorigen Kapitel haben wir uns damit beschäftigt, dass Menschen, die sich nicht selbst kontrollieren können, die Menschen in ihrer Umgebung zu kontrollieren versuchen.
Autonomie fördert stabile Bindungsbeziehungen. Wenn Sie gern Ihren Frust an Ihrem Partner auslassen würden und er dies tatsächlich verdient hätte, Sie es aber nicht tun, dann ist das echte Autonomie. â Und es ist unglaublich schwierig, sich so zu verhalten.
In Vorträgen, die ich auf der ganzen Welt halte, stelle ich gelegentlich folgende Frage: »Ist irgendjemandem unter den Zuhörern nicht klar, was es in Zusammenhang mit einer Ehe bedeutet, âºsich zu weigern, sich der Tyrannei zu unterwerfenâ¹?« Daraufhin folgt stets ein tief aus dem Bauch kommendes herzliches Lachen, und ich sehe viele Zuhörer bestätigend nicken.
In Teil I dieses Buches haben wir gesehen, wie der Partner mit dem schwächeren Verlangen Tyrannei versteht: Er fühlt sich unterdrückt, dazu gedrängt, Sex zu wollen und auch tatsächlich zu »haben« und durch das sexuelle Verlangen des Partners unter Druck gesetzt. Auch eine Partnerin mit stärkerem sexuellem Verlangen weiÃ, was Tyrannei beinhaltet: Sie fühlt sich dazu genötigt, immer dann zum Sex bereit zu sein, wenn ihr Partner dazu bereit ist, weil diese Gelegenheiten selten sein könnten. AuÃerdem muss sie sich damit abfinden, »glücklich zu werden«, statt gewollt zu werden, und sich auch bei mittelmäÃigem Sex dankbar erweisen. Zu allem Ãberfluss gibt es aber auch noch die vielen Menschen, denen es an einem stabilen und flexiblen Selbst, einem stillen Geist und einem ruhigen Herzen, an maÃvollem Reagieren und an sinnvoller Beharrlichkeit mangelt. Deshalb bezeichnet das Wörterbuch des Teufels die Ehe als einen Zustand der Sklaverei, an dem zwei Sklavenhalter und zwei Sklaven beteiligt sind. 3
Liebesbeziehungen: Lernen, auf eigenen FüÃen zu stehen
Was wäre, wenn Menschen nur ein Bein hätten und auf dem Boden herumkriechen würden? 4 Es würde nicht lange dauern, bis sie herausgefunden hätten, dass sie einander mit ihren Armen umschlingen und so aufstehen könnten. Im Sinne der Anpassung wäre dies eine sehr sinnvolle Errungenschaft. Doch da wir nun einmal so sind, wie wir sind, würden wir sicher über kurz oder lang an einen Ort gehen wollen, an den der andere nicht gehen wollte, so dass er klagen würde: »Warum versuchst du, mich deinen Vorstellungen zu unterwerfen? Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun muss!« Trotzdem wäre es in der beschriebenen Situation unbefriedigend, allein zu gehen, denn wir müssten dann ein höheres Funktionsniveau aufgeben. Dadurch entsteht eine Anspannung, die für die menschliche Situation charakteristisch ist, insbesondere für wenig differenzierte Menschen mit einem schwachen Selbstempfinden.
Wenn es Ihnen schwerfällt, Ihre innere Balance aufrechtzuerhalten, fühlen Sie sich durch andere unterdrückt. (Ihr Narzissmus bewirkt, dass Sie sie als Unterdrücker ansehen.) Auch deshalb können sich Liebesbeziehungen in Tyrannei und Unterdrückung verwandeln. Der Grund dafür ist ein geringes Differenzierungsniveau.
Nach jemandem Ausschau zu halten, der das Bein hat, das wir brauchen, und der das Bein braucht, das wir haben, führt zu nichts, weil Sie die Balance mit eigenen Mitteln zustande bringen müssen, nicht durch Ihre Beziehung. Ja, wenn Sie sich an Ihrem Partner festhalten, können Sie aufrechter stehen (d.h., Sie erreichen dann ein höheres Funktionsniveau) als ohne diese Unterstützung. Doch wenn Sie nicht darauf verzichten, aufrechter stehen zu können, oder wenn Sie nicht lernen, selbst das Gleichgewicht zu halten, ist das Leben Ihrer Partnerin nicht mehr ihr eigenes. Sie fordern dann von ihr, dass sie immer für Sie da istund Sie ständig unterstützt, und dies entspricht dem Zustand emotionaler Verschmelzung und dem Tatbestand geborgter Funktionsfähigkeit bzw. der Funktionsübertragung.
Stellen Sie sich nun vor, zwei Menschen versuchen, als Individuen einen Zustand der Ganzheit zu erreichen. Beide bemühen sich, ihre individuellen Bedürfnisse nach Bindung und Autonomie in Einklang zu bringen. Stellen Sie sich vor, beide stehen ohne Stütze und torkeln, bis sie schlieÃlich lernen, das Gleichgewicht zu
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