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Intimitaet und Verlangen

Intimitaet und Verlangen

Titel: Intimitaet und Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schnarch
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ihrer üblichen kleinlauten und zögernden Art zu reden, die Randall jedes Mal irritierte. Diesmal brachte Carol das Thema Sex klar und direkt zur Sprache. Es war nicht viel, was sie zu sagen hatte. Sie äußerte sehr ruhig: »Ich möchte, dass du mit mir über unser sexuelles Problem redest. Ich werde dieses Thema nicht mehr vermeiden.«
    Randall schaute auf und schwieg einen Moment lang. Diese wenigen Sekunden erschienen Carol wie eine Ewigkeit, doch sie blieb bei sich und flüchtete sich nicht in eine Überreaktion. Ihr fiel sofort auf, dass sich an Randalls Blick etwas verändert hatte. Er starrte sie nicht mehr so an wie vorher und ließ sie auch nichtmehr »im Regen stehen«. Er bemühte sich darum, sich in sie einzufühlen, ihren Geist zu spiegeln, indem er sich klarmachte, wie sie sich verhielt und warum sie dies tat. Er merkte, dass sie diesmal nicht wie sonst von ihren Ängsten getrieben wurde.
    Randall dachte: Wir befinden uns in einem Patt! Vorher hatte er gewöhnlich gedacht: Sie treibt mich an! Randall war weniger defensiv als sonst, weil er in der gemeinsamen Situation einen neuen Sinn sah und weil sich dies positiv auf seine Ausdauer auswirkte. Ihm wurde klar, dass sein Verlangen nicht nur etwas mit ihrer sexuellen Beziehung zu tun hatte, sondern auch – oder sogar noch mehr – mit Dingen wie dem emotionalen Patt zwischen ihnen und mit der Differenzierung, wohingegen seine Kindheitserlebnisse dabei eine eher untergeordnete Rolle spielten. Für ihn stand nun nicht mehr im Vordergrund, Informationen von Carol fernzuhalten, und stattdessen versuchte er, das Patt zu überwinden. Da er keine Energie mehr auf die Verteidigung seiner Vergangenheit verwendete, lernte er schnell. Er konzentrierte sich nun auf das, was wirklich zwischen Carol und ihm vorging, wobei er ihre Interaktionen aus der Perspektive der Vier Aspekte analysierte. Und all dies geschah blitzschnell.
    Randall merkte, dass sein Herz raste. Er atmete tief, um sich zu beruhigen. Ihm war klar, dass dies ein wichtiger Augenblick war. Er wollte nicht überreagieren und Carol in Rage bringen. Er dachte über den förderlichen Aspekt der Frustrationstoleranz nach und setzte dann zum Reden an, bevor er die Möglichkeit gehabt hätte, es sich noch einmal anders zu überlegen.
    Â»Ich weiß nicht so recht, wie ich es ausdrücken soll, aber ich versuch’s einfach mal. … Ich fühle mich in einer Zwickmühle. Du willst, dass ich dich will, aber ich habe das Gefühl, dass du ständig in meine Aktivitäten eingreifst oder mir zu verstehen gibst, was ich tun soll. Ich weiß, dass du es oft gut meinst, aber du machst mich verrückt. … Wenn ich meine Unzufriedenheit über etwas, das du getan hast, ausdrücke – beispielsweise weil du mich gedrängt hast, über meine Kindheit zu sprechen –, fährst du entweder aus der Haut oder fühlst dich verletzt – meist sogar beides gleichzeitig.«
    Randall hielt inne, um festzustellen, ob Carol gleich explodieren würde. Weil sie das nicht tat, fuhr er fort:
    Â»Ich bin selbst kein Engel. … Ich bin so aus dem Gleichgewicht, dass ich es selbst kaum ertragen kann. Ich fühle mich nicht besonders gut, so wie ich bin. Wenn du mich nicht anbrüllst, dann – nein, ich muss es anderes sagen: Wenn du brüllst, brülle ich gewöhnlich zurück. … Aber ich kann so viel Viagra nehmen,wie ich will, das Ergebnis ist nie mehr als eine gute Erektion. Ich werde dadurch nicht begieriger darauf, mit dir zusammen zu sein.«
    Carol merkte, dass Randall stärker auf das fokussiert war, was er sagen wollte, und weniger auf ihre Reaktion. Er ging nicht »im Namen der Wahrheit« auf sie los, sondern stellte sich dem, was in seinem Inneren vorging. Carol sah, dass Randall die Vier Aspekte im Auge hatte.
    Carol und Randall schauten einander an. Dieser Augenblick der Begegnung dauerte fast eine Minute. Randall fühlte sich in Carols Geist ein und erkannte, dass dies nicht der Countdown zu einer erneuten Explosion war. Carols Gesicht wirkte entspannt, ihre Augen waren wach und ließen kein Anzeichen für Verletztheit erkennen.
    Dann sagte sie bedächtig: »Du hast recht. Normalerweise wäre ich spätestens jetzt vor Wut an die Decke gegangen. … Aber ich habe mich beruhigt und mich bemüht, nicht übertrieben stark zu reagieren. …

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