Intruder 5
Mike vorhin hinter dem Steuer gesehen hatte, hatte sich hinter den Kotflügel gekauert, beide Arme auf die Motorhaube aufgestützt und zielte mit einem Gewehr auf sie. Mike trat so hart auf die Bremse, dass die Maschine schlingerte und auszubrechen drohte, bevor sie mit protestierend kreischenden Hinterreifen zum Stehen kam.
»Ach du heilige Scheiße!«, entfuhr es Frank. »Das ist jetzt aber wirklich etwas übertrieben.« Er hatte unmittelbar neben ihm angehalten, allerdings nicht annähernd so spektakulär.
Auch Stefan brachte seine Maschine zum Stehen - zumindest für einen kurzen Moment. Noch während Mike versuchte, sich überhaupt darüber klar zu werden, was hier ge schah, gab Stefan Gas, ließ die Intruder mit durchdrehendem Hinterrad auf der Stelle herumkreiseln und jagte los.
Er kam nicht besonders weit. Die Straße hinter ihnen war nicht mehr leer. Ein zweiter Mann in kurzärmeligem Hemd und mit dem breitkrempigen Hut der Highway Police dieses Staates war aus einem der Gebäude getreten. Auch er hielt ein Gewehr in den Armen, mit dem er zwar nicht direkt auf sie zielte, das er aber eindeutig schussbereit hielt. Er kam Mike auf sonderbare Art bekannt vor. Dieses Gefühl der Verwirrung hielt jedoch nur so lange an, bis ihm klar wurde, woher es stammte: Er trug die gleiche Art verspiegelter Sonnenbrille wie sein Kollege, der hinter dem Streifenwagen kniete. Stefan brachte die Maschine mit einem Ruck zum Stehen, der ihn um ein Haar das Gleichgewicht gekostet hätte.
»Freeze!«, rief der Cop.
Mike tauschte einen verwirrten Blick mit Frank. »Was?«
»Das heißt ungefähr so viel wie: Keine Bewegung, oder ich ballere euch den Schädel weg«, antwortete Frank gepresst. »Ich glaube, er will, dass wir die Hände hochheben.«
*
Das Büro war winzig, und obwohl draußen gleißender Sonnenschein herrschte, wirkte es düster und beengt. Die Gardine vor dem Fenster war zurückgezogen, die Luft so stickig und verqualmt, dass das Atmen schwer fiel. Das mochte an der umgedrehten Radkappe liegen, die der Besitzer dieses Büros als Aschenbecher zweckentfremdet hatte; sie quoll vor Kippen nahezu über. Zu allem Überfluss zündete sich der Mann mit der verspiegelten Sonnenbrille, der auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, eine weitere filterlose Zigarette an und blies eine Rauchwolke in Richtung seiner Gefangenen.
Frank hustete demonstrativ, und auch Mike verspürte ein leises Ekelgefühl. Seltsam - man hätte erwarten sollen, dass der Anblick Mikes Gier auf eine Zigarette zu reiner Weißglut entfachen würde, aber das genaue Gegenteil war der Fall.
Frank hustete abermals, und Stefan begann wütend an den Handschellen zu zerren, mit denen er an der Heizung unter dem Fenster festgekettet war.
Auch Mike stemmte kurz die Arme gegen die Handschellen, mit denen seine Handgelenke hinter den Rücken gebunden waren. Anders als Stefan hatte man Frank und ihn nicht an die Heizung gekettet. Das lag wohl kaum daran, dass der Sheriff Stefan für gefährlicher hielt: An den Heizkörpern war einfach nicht genug Platz für drei Mann.
Mike glaubte nicht wirklich, dass er die stählerne Fessel irgendwie lockern könnte. Im Grunde riss er nur daran, um sich davon zu überzeugen, dass sie real waren und nicht etwa nur ein weiteres Trugbild, das der Dämon aus seinem Unterbewusstsein geschickt hatte, um ihn zu quälen.
Ihr Gegenüber nahm einen weiteren, tiefen Zug aus seiner Zigarette und streckte gleichzeitig den Arm aus, um nach ihren Pässen zu greifen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Er hatte bisher weder auf eine ihrer Fragen geantwortet noch von sich aus ein Wort gesprochen, während er und sein Kollege sie mit vorgehaltenen Gewehren hierher gebracht hatten.
»Ihr seid also Touristen«, sagte er, nachdem er die Pässe der Reihe nach zur Hand ge nommen und in aller Ausführlichkeit durchgeblättert hatte. »Aus Deutschland. Ost oder West?«
Mike war nicht ganz sicher, was ihn mehr überraschte - der Umstand, dass der Sheriff sie in fließendem Deutsch angesprochen hatte, oder die Frage, die er stellte.
*
»Das gibt es nicht mehr«, antwortete Frank.
»Was?«
»Ost- oder Westdeutschland«, antwortete Frank. »Die Mauer ist gefallen. Die DDR existiert nicht mehr.«
»Tatsächlich?« Der Sheriff klappte den letzten Pass zu und warf ihn auf den Tisch zurück. »Ist das schon lange her? Wir sind hier ein bisschen weit weg vom Schuss, wie man bei Ihnen sagt. Manchmal dauert es eine Weile, bis Neuigkeiten zu uns
Weitere Kostenlose Bücher