Intruder 6
bewundern, so hätte er dieses Gefühl mit Sicherheit für das Treasure Island empfunden. Von außen erweckte das Hotel - zumindest nach den Maßstäben von Las Vegas - keinen besonderen Eindruck: ein riesiger Klotz aus Stahl, Beton und Unmengen von einseitig verspiegeltem Glas, der zwischen den verspielten Dornrö-
schenschlössern, Pyramiden, Zirkuszelten und futuristisch anmutenden Sciencefictionbauten der anderen Hotels fast bescheiden wirkte, sah man von dem überdimensionalen Swimmingpool ab, der schon fast die Größe eines kleinen Sees hatte und den man auf einer hölzernen Brücke überqueren musste, um überhaupt zum Hotel zu gelangen. Das Innere war eine andere Welt, die zwei oder drei Jahrhunderte zurücklag und ebenso perfekt und mit Liebe zum allerkleinsten Detail gestaltet war wie die ganze Scheinwelt, die Las Vegas letzten Endes darstellte. Die riesige Hotelhalle unterschied sich wohltuend von der des Bally’s, denn in ihr war kein Spielsalon untergebracht. Stattdessen war sie dem Deck eine s Piratenschiffes aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert nachempfunden: Die Balken, die die schwere Holzdecke stützten, hatten die Form von Schiffsmasten, und unter den meisten Türen befanden sich kleine, in Messing gefasste Bullaugen.
Strong hatte anscheinend nicht übertrieben. Sie wurden bereits erwartet. Frank musste nur ihre Namen nennen, und hinter ihnen erschien wie aus dem Nichts ein Page, der die Uniform eines englischen Schiffsmaats aus dem siebzehnten Jahrhundert trug und sie zu ihrem Zimmer begleitete.
»Strong scheint ja wirklich der Arsch auf Grundeis zu gehen«, sagte Frank, kaum dass sie allein waren. »Das Zimmer hier muss ein Vermögen kosten.«
»Vermutlich kostet es ihn gar nichts.« Was interessierte es Mike, was Strong für Probleme hatte? »Ich frage mich eher, wo Stefan bleibt.«
»Mach dir keine Sorgen«, antwortete Frank kopfschüttelnd.
»Strong und seine Spezies werden sich schon um ihn kümmern. Denen kann doch gar nichts Schlimmeres passieren, als dass einem von uns etwas zustößt. Die Frage ist: Wie soll es jetzt weitergehen? Ich bin genauso sauer auf Stefan wie du, das kannst du mir glauben, aber was hast du jetzt vor? Ihm offiziell die Freundschaft kündigen? Ihm den Krieg erklären - oder ihn vielleicht aus dem Flugzeug stoßen?«
»Unsinn!«, widersprach Mike. Dabei war ihm durchaus klar, dass sie nicht einfach nur eine Nacht darüber schlafen und dann so tun konnten, als wäre gar nichts geschehen. Sie würden wohl oder übel noch ein, zwei Tage miteinander auskommen müssen, und es brachte ve rmutlich nichts, das Gespräch mit Stefan auf die lange Bank zu schieben.
Allerdings mussten sie ihn dafür erst einmal finden.
»Ich habe keine Ahnung, wie ich mit der Situation umgehen soll.« Er begann unruhig im Zimmer auf und ab zu laufen. »Ich habe vermutlich ein paar Dinge gesagt, die ich besser für mich behalten hätte.« Er blieb stehen und sah Frank an. »Wäre es
...«, fuhr er fort. Er suchte nach Worten, rettete sich schließlich in ein Achselzucken und setzte neu an: »Könntest du mit ihm reden?«
Franks Lippen verzogen sich zu einem humorlosen, dünnen Lächeln. »Warum überrascht mich diese Frage nicht?«
»Weil du mich kennst und weißt, was für ein erbärmlicher Feigling ich bin«, sagte Mike.
Frank blieb ernst. »Selbst wenn ich das jemals geglaubt hätte, hätte ich diese Meinung im Laufe der letzten Woche bestimmt geändert.« Er schüttelte hastig den Kopf, als Mike zu einer spöttischen Antwort ansetzte. »Du hast bis jetzt noch nicht begriffen, was überhaupt passiert ist, habe ich Recht?«
»Was ... meinst du?«
»Du hast dich Zeit deines Lebens für einen Feigling geha lten«, antwortete Frank. »Irgendwie warst du das vielleicht sogar, wenn auch auf ganz andere Art, als du immer behauptet hast. Was glaubst du, warum wir dir diesen Abenteuerurlaub geschenkt haben? Nur, weil wir es so lustig fanden, dir einen kleinen Schrecken einzujagen? Bestimmt nicht! Es ist ganz genau das passiert, was ich vorausgesehen habe. Du bist über dich selbst hinausgewachsen. Du hast Dinge geschafft, von denen du vor einer Woche noch nicht einmal geträumt hättest.«
»Aber nichts davon war doch echt.«
»Und?«, fragte Frank. »Welche Rolle spielt das schon? Du wusstest es schließlich nicht. Du bist kein Feigling. Das warst du nie. Und Stefan ist es auch nicht. Er hat die Nerven verloren und einen Fehler gemacht, und ich glaube, das weiß er von
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