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Intruder 6

Intruder 6

Titel: Intruder 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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griffen gierig danach. Schon kurz darauf flackerte das Feuer auf, hell genug, um Mike das Gekritzel auf nackten Felswänden erkennen zu lassen: Momentaufnahmen aus dem Leben eines längst vergessenen Volkes, das täglich gegen den Hunger und die Witterung kämpfte und mit zeremoniellen Darstellungen von Jagdzügen, Fruchtbarkeitsriten und religiösen Festen den Beistand von Göttern erflehte, ohne den es sich verloren wähnte.
    »Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit«, sagte der Alte, ohne vom Feuer aufzublicken.
    »Bin ich ...?«, fragte Mike.
    »Tot?« Der Schamane runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Vielleicht wünschst du dir schon sehr bald, du wärest es - aber so leicht wird dich der Wendigo nicht davonkommen lassen.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Mike bitter. »Reicht es nicht, dass er sich Stefan geholt hat - und jetzt im Hotel ein Massaker anrichtet?«
    »Nein.« Der Alte holte etwas aus seinem Gewand hervor, ein kleines, silbernes Kästchen. Langsam öffnete er den Deckel.
    »Bislang hat der Wendigo nur mir dir gespielt. Aber jetzt ist sein Appetit geweckt. Er will mehr.«
    »Mehr?« Ein krampfhafter Schauder ließ Mike erzittern. Er fühlte sich plötzlich so heiß, fiebrig und wacklig auf den Beinen wie ein Grippekranker, der sich zu hastig bewegt hatte.
    »Was kann er mehr von mir wollen? Was kann er mir jetzt noch nehmen?«
    »Deine Würde? Deinen Glauben an dich selbst? Deine Selbstachtung?« Der Alte machte eine ungeduldige Handbewegung. »Es gibt viel mehr, was man einem Mann nehmen kann, als sein Leben. Und das weißt du nur zu gut, Schreiber-ling. Auch aus diesem Grund hat dich der Wendigo ausgewählt.«
    »Er hat mich ausgewählt?« Mikes Knie schienen plötzlich sein Gewicht nicht mehr tragen zu können. Er musste sich an der Felswand festhalten, um nicht zu stürzen.
    »Ja, er hat dich erwählt«, sagte der Schamane leise. »Dich und deine Freunde. Und zuvor den vom Weg abgekommenen Krieger Strong. Er ha t sehr lange auf Menschen gewartet, die ohne innere Not die Barriere zwischen Fantasie und Wirklichkeit einreißen - und die untereinander durch ein Geflecht Unheil bringender Emotionen verbunden sind.«
    »Du meinst ...«
    »Ich meine, dass du dein Leben lang Mächte herausgefordert hast, denen du nicht im Geringsten gewachsen bist. Du hast mit Angst und Verzweiflung gezahlt und geglaubt, damit sei die Rechnung beglichen: Aber das war sie nicht. Du hast aus den Tiefen der Finsternis geschöpft, um düstere Geheimnisse auf Papier zu bannen, du hast Geschichten erzählt, die zwar nie im Wortlaut, aber doch im innersten Kern immer wahr waren.
    Doch dabei hast du versäumt, dich der Unterstützung deiner Mitmenschen zu versichern, wie es jeder weise Mann tun würde, der niema ls einen gefährlichen Weg ohne den Beistand seines Stammes einschlägt. Du hast dagegen zugelassen, dass Neid und Missgunst deine Umgebung vergiften und in die Seelen deiner Freunde Einzug halten.«
    Die Stimme des Schamanen war zum Schluss immer schwä-
    cher geworden, doch Mike hatte jedes einzelne Wort verstanden. Hatte er tatsächlich geglaubt, nur seine Angst durchstehen zu müssen, um mit allem fertig zu werden, was sich aus seinem tiefen Eintauchen in düstere Stoffe und menschliche Abgründe ergab? Vielleicht war das schon vom Ansatz her falsch gewesen. Vielleicht hatte er tatsächlich versäumt, sich rechtzeitig den Beistand seiner Freunde zu sichern und stattdessen vollkommen sinnlos versucht, sein ganzes Leben als einsamer Wolf zu meistern.
    »Ich verstehe trotzdem nicht«, sagte er schließlich. »Was hat der Wendigo damit zu tun?«
    Der Alte lachte freudlos auf. »Er hat auf dich und Strong gewartet. Ihr beiden reist zwischen Fantasie und Wirklichkeit wie Schamanen, aber ihr wisst nicht, wie man sich schützen muss, damit man dabei nicht an Leib und Seele Schaden nimmt. Der Krieger, der sich Strong nennt, hat auf dem Terri-torium des Wendigo ein gewagtes Spiel begonnen, ohne zu ahnen, dass er sich damit leichtfertig einer Macht ausliefert, die ihn von Anfang an nur als willfährige Marionette betrachtet hat. Strong hat viele Männer in dieses Land gelockt, um an seinen Fantasiereisen teilzunehmen, und immer hat der Wend i-go wie eine Spinne im Netz gelauert, bereit, zuzuschlagen, falls sich ihm die passende Beute leichtsinnig anbieten sollte.«
    »Und diese Beute bin ich«, stellte Mike bitter fest.
    »Aber ja. Es gibt niemand Geeigneteren. Du bist ein Grenz-gänger zwischen den Welten,

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