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Intruder 6

Intruder 6

Titel: Intruder 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ohne dir dessen bewusst zu sein.
    Und deine Freunde haben dich hintergangen, vielleicht mehr, als sie selber ahnten ...«
    »Was soll das heißen?«
    »Das weißt du nicht?« Der Schamane schüttelte den Kopf.
    »Obwohl du so viel Wissen über die menschliche Natur angesammelt hast, bist du doch voller Blindheit.« Der Alte entnahm dem silbernen Kästchen ein schwarzes Pulver, das er von der linken in die rechte Hand rieseln ließ. »Ich fürchte, ich kann dich nicht sehend machen. Aber ich kann dir zeigen, wie das begonnen hat, was jetzt gerade sein Ende findet.«
    »Der Wendigo ...«
    »Ist uralt, und das, was dir Ewigkeiten entfernt zu sein scheint, ist für ihn so nah, als sei es erst gestern geschehen.
    Einer seiner Schützlinge wurde vor zwei Menschenaltern von einem stinkenden, lärmenden metallenen Pferd getötet. Der Tod dieses Kindes hat seinen Rachedurst geweckt.«
    »Das Kind«, sagte Mike entsetzt. »Die Schützlinge des Wendigo sind Kinder? «
    »Aber ja.« Der Schamane sah ihn mit leisem Vorwurf an.
    »Als ob du das nicht längst weißt. Die Legenden über den Wendigo sind zahlreicher als die Blätter an einem Baum und widersprechen sic h in vielen Details. Aber das Schlimmste ist, dass sie niemals den Kern treffen. Die meisten Indianervölker halten ihn für ein Kinder fressendes Monster, da er ihnen die Begabtesten und Tapfersten in jungen Jahren nimmt. Tatsächlich nährt er sich in absche ulicher Weise von den Seelen der von ihm Erwählten, sodass sie gezeichnet sind in seinem Sinne und auf Uneingeweihte trotz ihrer besonderen Fähigkeiten schwachsinnig, geistig verwirrt oder einfach nur seltsam wirken. Aber leichtfertig handelt der, der sich an ihnen ver-greift oder sie verspottet: Denn sie stehen unter dem Schutz des Wendigo, und er würde niemanden gewähren lassen, der sie misshandelt oder gar tötet.«
    Mike stockte im wahrsten Sinne des Wortes der Atem. Einen Augenblick - den Bruchteil einer Sekunde lang - glaubte er, den sabbernden, schwachsinnig wirkenden Indianerjungen aus dem schwarzen Van wieder vor sich zu sehen und die ganze schreckliche Wahrheit intuitiv erfassen zu können. Doch dann war der Moment vorbei, ohne dass sich die volle Erkenntnis eingestellt hätte.
    »Der schnelle Fortschritt, den der weiße Mann in die Steppen, die Wüste und die Canyons brachte, war vielleicht das Einzige, was den Wendigo je wirklich überraschte«, fuhr der Schamane fort. »Er war nicht darauf gefasst, was Maschinen, Elektrizität und künstliches Licht innerhalb kürzester Zeit zu ändern vermögen. Und da Monate für ihn nur wie Stunden sind, wurde er geradezu von der neuen Entwicklung überrollt
    »Und er verlor an Macht«, vermutete Mike.
    »Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch nur eine andere Phase seines Wachstums, der Beginn eines Zyklus, der ihn noch mächtiger machen wird. Auf jeden Fall hat es ihn sehr wütend gemacht. Seitdem sinnt er auf Rache an den weißen Eindring-lingen.« Der Schamane lehnte sich zurück. Erst jetzt bemerkte Mike, wie erschöpft, uralt und zerbrechlich der Indianer aussah, als stamme er selbst aus einer längst untergegangenen Epoche, als halte ihn nur noch eine geheimnisvolle Kraft aufrecht, über deren Ursprung Mike nicht einmal zu spekulie-ren wagte. »Der Wendigo hat sich in das alte Zentrum seiner Macht zurückgezogen, in diese Höhle in der Nähe des Ortes, den du als Monument Valley kennst. Darin liegt auch die einige Chance, die du noch hast!«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Mike verzweifelt.
    »Für eine n belesenen Mann wie dich dürfte es kein Problem sein zu begreifen, dass sein Einflussbereich begrenzt ist. In den letzten Jahrzehnten mag dieser abgenommen haben, doch jetzt wächst er wieder.«
    »Wie weit«, Mike schrie fast, »wie weit reicht seine Macht?«
    Der Alte streckte die Arme aus und ließ sie die Andeutung eines Kreises vollführen. »In dem Gebiet rund um uns herum, mehr als zehn Tagesreisen in jede Himmelsrichtung, gewährte der Wendigo fünfzig Generationen lang allen Völkern Über-fluss und Wohlstand. Noch bevor sich der weiße Mann an-schickte, diesen Kontinent zu erobern, spürte der Wendigo die Bedrohung durch ihn. Er reagierte auf seine Weise - und ließ das enden, was er begonnen hatte.« Der Schamane schloss einen Moment lang die Augen. Als er sie wieder öffnete, schien sein Blick in weiter Ferne zu schweifen. »Seine Völker verschwanden vom Antlitz dieser Erde. Nun rätselt der weiße Mann, wie das geschehen konnte. Er spricht

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