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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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übergegangen, den verstorbenen Vater der Königin ›Quience den Guten‹ zu nennen, oder manchmal ›Quience den Großen‹. Ich wage anzunehmen, daß sich die eine oder die andere Bezeichnung eingebürgert haben wird, wenn irgend jemand diese Zeilen zu lesen bekommt.
    Ich war während der vergangenen fünfzehn Jahre sein Leibarzt, und die Ausbildung durch die Ärztin sowie meine eigenen Studien machten mich, allen Einschätzungen nach, zum besten Arzt im Land. Vielleicht sogar zu einem der besten der Welt, denn als – zum Teil dank der Botschaftertätigkeit von Gaan Kuduhn – engere und zuverlässigere Verbindungen zu der archipelagischen Republik Drezen eingerichtet wurden, entdeckten wir, daß unsere antipodischen Vettern, die sie sich zwar in vielen Dingen mit uns messen konnten oder uns sogar übertrafen, in der Medizin nicht so weit fortgeschritten waren wie wir, und auch in vielen anderen Bereichen nicht, wie die Ärztin angedeutet hatte.
    Gaan Kuduhn lebte unter uns und nahm bei mir so etwas wie die Vaterstelle ein. Später wurde er ein guter Freund und verbrachte ein Jahrzehnt als Botschafter in Haspidus. Er war ein großzügiger, findiger und entschlossener Mann, der mir einmal gestand, daß es nur eine einzige Sache gab, an die er sich mit all seinem Verstand herangemacht hatte und die ihm mißlungen war, und das war der Versuch, die Herkunft der Ärztin genau zu erkunden.
    Wir konnten sie nicht fragen, weil sie verschwunden war.
    Eines Nachts fuhr die Pflug der Meere auf der Osk-See vor dem Wind vorbei an einer Reihe kleiner, unbewohnter Inseln, mit Zielrichtung Cuskery. Da spielte jene schimmernde grüne Erscheinung, die die Seeleute Kettenfeuer nennen, um die Takelage des Schiffes. Anfangs waren alle verdutzt, doch dann fürchteten sie um ihr Leben, denn nicht nur daß das Kettenfeuer heller und eindringlicher war als alles, an das sich die Seeleute aus der Vergangenheit erinnerten, sondern der Wind frischte plötzlich in einem solchen Maße auf, daß er drohte, ihre Segel zu zerfetzen, die Masten zu knicken oder sogar die gesamte große Galeone umzuwerfen.
    Das Kettenfeuer verschwand ebenso schnell wieder, wie es gekommen war, und der Wind wurde wieder zu der beständigen Kraft, die er zuvor gewesen war. Nach und nach kehrten alle, außer den Wachhabenden, wieder in ihre Kabinen zurück. Einem der Mitreisenden war aufgefallen, daß es ihnen nicht gelungen war, die Ärztin aufzuwecken, damit sie sich das Schauspiel ansähe – obwohl sich keiner viel dabei dachte. Die Ärztin war für diesen Abend zum Essen mit dem Schiffskapitän eingeladen gewesen, hatte ihm jedoch eine Nachricht geschickt, mit der sie die Einladung ablehnte, indem sie eine Unpäßlichkeit aufgrund bestimmter Umstände vorgab.
    Am nächsten Morgen stellte man fest, daß sie verschwunden war. Ihre Tür war von innen verschlossen und mußte mit Gewalt geöffnet werden. Die Springluken waren für die Belüftung aufgeschraubt worden, sie waren jedoch zu klein, als daß ein Mensch sich hätte hindurchquetschen können. Allem Anschein nach war all ihr Hab und Gut, oder zumindest der Großteil davon, noch in der Kabine. Alles war verpackt und sollte nach Drezen geschickt werden, doch während der Reise verschwand es, was nicht überraschte.
    Gaan Kuduhn, der genau wie ich all diese Dinge beinahe ein Jahr später erfuhr, war bestrebt, ihre Familie davon zu unterrichten, was mit ihr geschehen war und wieviel Gutes sie in Haspidus geleistet hatte, doch trotz all seiner Erkundigungen auf der Insel Naphtilia und in der Stadt Pressel, von denen er einige persönlich anläßlich eines Besuches dort durchführte, und trotz der zahlreichen Gelegenheiten, bei denen er kurz davor zu stehen schien, ihre nächsten Angehörigen ausfindig zu machen, wurde er immer wieder enttäuscht und traf nie irgend jemanden, der jemals einer Frau, die unter dem Namen Doktor Vosill bekannt gewesen wäre, getroffen oder gekannt hätte. Dennoch glaube ich, daß das eines der wenigen Dinge war, die ihn auch noch auf dem Totenbett ärgerten, und aus Ausgleich dafür konnte er auf ein außerordentlich einflußreiches und produktives Leben zurückblicken.
    Der alte Wachkommandant Adlain litt gegen Ende der ihm zugeteilten Jahre gar schrecklich. Ich glaube, was ihn verzehrte, war etwas Ähnliches wie die wuchernde Krankheit, die den Sklavenhändler Tunch so viele Jahre zuvor bereits hinweggerafft hatte.
    Es gelang mir, die Schmerzen zu lindern, aber am Schluß wurden sie

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