Irgendwann passiert alles von allein
von nichts, er konnte nichts wissen. Er würde es nie erfahren.
Grinsend gab mir Leo die Hand und nuschelte meinen Namen. Auf dem Tisch lag eine Plastiktüte voller Gras, sie war ein wenig kleiner als die aus dem Englischen Garten, daneben ein handflächengroßer, brauner Klumpen Haschisch und ein kleiner Beutel. Darin häuften sich kleine rote Tabletten. Sie waren in etwa so groß wie Aspirin und trugen in der Mitte ein Zeichen, das ich aber nicht erkennen konnte. Außerdem war da eine Packung mit kleinen blauen Kapseln, die ein bisschen wie mit Gelee gefüllte Bonbons aussahen.
»Was ist das?«, fragte ich und deutete auf die Tüte mit den roten Pillen.
Schenz kicherte.
»Das sind E’s«, sagte Leo und grinste.
»Und die da?«
Schenz prustete plötzlich los. Kleine Spucketropfen stoben aus seinem Mund, dann wurde daraus ein blechernes Lachen.
Hekhekhekhekhekhek.
Leo lachte ebenfalls, aber es klang nicht so aufdringlich wie das von Schenz. Er lehnte dabei noch immer entspannt in dem Gartenstuhl.
»Das sind Mikros.«
»Mikros?«
Leo nickte.
»Was sind Mikros?«
Schenz hielt sich den Bauch vor Lachen. Sein dünner Körper verdrehte sich wie ein Schraubstock.
|178| »Mikros«, sagte Leo und lachte, »Mikros sind wie Tickets, nur stärker.«
»Und Tickets?«
»LSD, du Mongo.«
»Und wo ist Sam?«
Schenz lachte jetzt so sehr, dass er keine Luft mehr bekam.
»Sam ist ein bisschen komisch drauf. Zuerst hat er drei –«
Hekhekhekhekek
. Leo wurde von einer erneuten blechernen Lachsalve von Schenz unterbrochen.
»Zuerst hat er drei von diesen Mikros genommen.«
»Drei«, gackerte Schenz. »Er hat drei! Drei!«
»Er hat drei Mikros genommen und dann hat er oben im ersten Stock überall die Rollos runtergelassen. Warum, wissen wir nicht. Er hat die ganze Zeit etwas gemurmelt, aber wir haben ihn nicht verstanden.«
Ich ging durch die Terrassentür in das Haus hinein. Schenz’ Gelächter wurde leiser. Im Wohnzimmer lagen CDs und Klamotten auf dem Boden herum. Ich fand ein The Doors-Album, hob es auf und legte die CD in den C D-Player . Von draußen hörte ich Schenz noch immer gackern. »When the summer’s gone, where will we be?«, sang Jim Morrison und in diesem Moment –
hekhekhekhek
– war endlich alles wie in einem Film: Leo, Sam, Schenz, ich – wir waren alle irgendwie Darsteller, die irgendwas machten, weil es so im Drehbuch stand. Und jetzt hier in dem Haus mit der Musik von The Doors – irgendwie passte das alles. Es war nur alles ein bisschen traurig und abgefuckt. Eigentlich will man ja immer, dass alles ein bisschen so ist wie im Film, aber |179| wenn es dann so ist, will man, dass es wieder normal wird. Zumindest ich wollte das, weil hier in dem Wohnzimmer mit der Doors-CD und den ganzen Drogen war es mir zu unnormal.
Die Küche sah nicht gut aus. Überall standen Bier- und Weinflaschen herum, daneben Pizzakartons und Eispackungen. Es stank. »Summer’s almost gone«, sang Jim Morrison. Im Treppenhaus war es bereits dunkel. Ich musste das Licht anmachen, um überhaupt etwas sehen zu können. Kleidungsstücke lagen auf den Stufen verstreut: T-Shirts , Boxershorts, Sams N Y-Cap . Oben öffnete ich zunächst die Tür zu Sams Zimmer. Tatsächlich war der Rollladen heruntergelassen, sodass der Raum stockfinster gewesen wäre, hätte nicht in der Zimmermitte eine Kerze gestanden. Sie war halb heruntergebrannt, doch Sam war nicht da. Im Nebenzimmer, dem Schlafzimmer seiner Eltern, dasselbe Bild: Das Zimmer war finster, bis auf eine kleine Kerze, die am Boden stand und vor sich hin brannte. Selbst das Bad war verdunkelt und eine Kerze stand darin. Auf dem Spiegel war mit Edding etwas gekritzelt. Ich versuchte, die Worte zu entziffern, doch ich konnte immer nur einzelne Buchstaben erkennen; ihre Kombination ergab keinen Sinn. Mal ähnelten sie dem Schwung von Graffiti-Tags, mal spitzen Runen. Ich verließ das Bad, und als ich wieder im Flur stand, hörte ich ihn. Er kam mir entgegen, aber er sah mich nicht an. Sein Kopf war gesenkt, in der Hand hatte er Kerzen und ein Feuerzeug, dessen Rädchen er beständig drehte und damit kleine Funken versprühte. Er zischte, murmelte und flüsterte. |180| Er stank wie jemand, der sich seit Tagen nicht mehr geduscht hat.
Ich nannte ihn beim Namen. Er reagierte nicht, es war, als habe er mich nicht gehört.
»Sam!«, rief ich lauter. Er murmelte, doch er sprach nicht mit mir. Er schien sich mit jemandem zu unterhalten, der aber gar nicht da war. Ich
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