Irgendwann passiert alles von allein
wirklich gut zusammenpassen. Sie sagte, er rede nur noch über Geld, über Autos und was er ihr alles kaufen würde. Ich versuchte, verständnisvoll zu tun, und sagte, auf Geld komme es doch gar nicht so an, und ich meinte das in diesem Moment auch so. Ihre Hand bewegte sich langsam von ihrem Knie zu mir herüber. Ihre Finger fühlten sich weich und biegsam an. Ich umfasste ihren |167| Daumen und drückte ihn sanft nach hinten. Ich konnte ihren Daumen – und das war wirklich abgefahren, fand ich zumindest – fast im rechten Winkel nach hinten biegen.
»Was ist mit deinem Daumen?«
»Ja, witzig, oder? Schau, mit dem anderen geht das auch. Das kann nur ich.«
Plötzlich war die Traurigkeit aus ihrer Stimme verschwunden. Sie legte ein Bein angewinkelt auf die Couch, drehte ihren Körper zu mir und hielt mir ihren anderen Daumen vor die Nase, den sie auch um 90 Grad nach hinten bog. Als sie die Hände wieder zurückzog, war ihr Gesicht nur noch eine Handbreit von meinem entfernt. Sie kam näher, es passierte einfach so. Ihre Lippen waren weich und von ihrer Zunge spürte ich nur die Spitze. Es war ein vorsichtiger Kuss, weil ich mal gelesen hatte, besser vorsichtig zu sein als zu drängend, und außerdem waren wir ja nicht auf einem Meininger Bierfest, sondern bei ihr daheim. Sina stand auf, legte eine Kuschelrock-CD in den C D-Player und setzte sich wieder zu mir.
Wir legten uns aufs Bett, Sina ließ die CD laufen und diese Schnulzen verklebten die Stimmung. Ich meine: Es war schon romantisch irgendwie, aber wir waren ja nicht verliebt und ein Paar waren wir erst recht nicht. Und in dieser Situation musste ich ›Sailing‹ von Rod Stewart hören.
Ich konnte endlich die Kondome verwenden, die ich seit einem halben Jahr in meinem Portemonnaie bei mir trug. Ich bewegte mich halbwegs rhythmisch auf ihr. Sie |168| sagte »schneller« und ich machte schneller, aber dann sagte sie »nicht ganz so schnell« und das war jetzt wieder schwierig. Nach ein paar Minuten war alles vorbei. Ich weiß noch, dass es genau in dem Moment vorbei war, als auch ›Sailing‹ von Rod Stewart zu Ende war.
Ich konnte es nicht beschreiben und auch nicht sagen, was daran so besonders sein soll, trotzdem veränderte es alles. Einfach aus dem Grund, weil man jetzt sich und anderen sagen konnte: Ich hab schon mal. Und das war schon wichtig. Aber auch, weil ich anfing, Sina nicht mehr nur gut zu finden, sondern sie auch irgendwie zu mögen.
Wir lagen mit dem Rücken auf ihrem engen Bett auf der blauen Satindecke und rauchten. Die Nachmittagssonne kitzelte auf unserer Haut, von draußen drang Geschrei vom Kinderspielplatz, der direkt unter ihrem Fenster lag. Ich wollte sie fragen, ob es anders gewesen war als mit Schenz. Aber ich verkniff es mir; irgendwie hatte ich den Eindruck, dass das für sie nicht ganz so bewegend gewesen war wie für mich. Also schwieg ich und Sina legte für einen kurzen Moment ihren Kopf in die Kuhle zwischen Schlüsselbein und Hals. Ihre blonden Haare zerstreuten sich wie Mikado-Stäbe auf meiner Brust und ihre Hand ruhte auf meinem Herz. Ich küsste sie knapp unterhalb des Ohrs und sie sagte, ich solle das lassen, weil es kitzeln würde.
Schließlich drückten wir unsere Zigaretten aus. Sina stand plötzlich auf und riss das Fenster weit auf. Dann sprühte sie ein Parfüm durchs Zimmer und wedelte mit der Hand in der Luft herum. Es roch nach Erdbeeren.
|169| »Meine Mutter flippt aus, wenn sie mitbekommt, dass wir hier geraucht haben. Sie streicht mir das Taschengeld.«
Ich wollte sagen, Geld sei kein Problem. Ich hatte noch immer ein dickes Bündel in der Schublade meines Schreibtisches liegen. Obwohl es ziemlich rasant weniger geworden war. Der Stapel war innerhalb der letzten Wochen um zwei Drittel geschrumpft. Ich hatte Klamotten im Wert von etwa 1000 Mark gekauft – das war die einzige größere Anschaffung, die ich mir leisten konnte, ohne dass meine Eltern komische Fragen stellten. Der Rest war dahingeflossen für … ja, für was? Taxi, Pizza, Zigaretten, Alkohol, Trinkgelder und so weiter. Mehrere Tausend Mark in ein paar Wochen. Aber wahrscheinlich wäre sie ausgeflippt, wenn ich ihr Geld angeboten hätte, weil das ja irgendwie auch so wie bei Carina gewesen wäre oder vielleicht sogar noch krasser.
Ich stand auf und zog mich an. Abermals machte es pft pft und die Luft roch wie in einem Parfümladen. Ich verzog das Gesicht.
»Das ist das Parfüm von Schenzi, er hat gemeint, er müsse mir
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