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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Mattheis
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Ein Regenwurm wand sich auf der Flucht vor dem Licht. Und selbst wenn jemand das Geld fände, es gäbe keine Verbindung zu mir. Die Polizei könnte nichts mit diesem Bündel anfangen. Ich sah noch mehr Würmer, Käfer, Insekten, deren Namen ich nicht kannte. Dort in diese wuselige, feucht-kühle Betriebsamkeit legte ich die Plastiktüte, in der die Briefe und 4000   Mark waren. Niemand würde sie finden, niemand würde einfach so im Wald nach |173| Geld graben. Als ich das Loch wieder mit Erde aufgefüllt und mit Nadeln und Ästchen bedeckt hatte, stand ich auf, ging ein paar Schritte rückwärts und versuchte, mir die Stelle einzuprägen. Sieben Schritte vom vorderen rechten Bein des Hochstands nach rechts. Knapp vor einer dicken Wurzel.
    Es war geschafft. Ich hatte das Geld unter die Erde gebracht.
    Alles, was ich nun noch besaß, wollte ich verschenken.
    Ich war frei.
     
    Als ich wieder daheim war, rief ich Fabian an. Nach dem achten Klingeln hob er ab. Ich erzählte ihm, was mit Sina passiert war. Zwanzig Minuten später stand ich vor seiner Haustür.
    »Hast du sie gefickt?«
    Er hielt mir die flache Hand hin und ich schlug ein. Ruckartig drehte er sich um und wieselte zurück zur Couch, zur Playstation. Ich setzte mich neben ihn.
    »War gut?«
    Ich zuckte mit den Schultern, weil ich echt nicht so genau wusste, ob es nun gut gewesen war oder nicht. Ich meine, man kann das ja nur von irgendwas behaupten, wenn man einen Vergleich hat, und es passierte ja gerade alles zum ersten Mal.
    Er grinste.
    »Sag mal«, sagte ich und sah ihn bemüht ernst an, »brauchst du Geld?«
    Ich wartete seine Antwort nicht ab, sondern drückte |174| ihm fünf Scheine in die Hand. Einen Reserve-Hunderter ließ ich in meinem Portemonnaie. Ich weiß, das war irgendwie inkonsequent, aber es waren eben doch 100   Mark, also eine Menge Geld. Fabian ließ die Scheine in seiner Tasche verschwinden. Dann setzten wir uns und spielten Streetfighter II.   Fabian gewann.

|175| Siebzehn
    »K-k-kannst du Geld mitbringen?«
    Sams Stimme klang wie ein leise würgender Automotor.
    »Ich brauch noch Ko-Ko-Kohle für Bier und anderes Z-Zeug .«
    »Ich habe fast nix mehr«, antwortete ich. »Und was für anderes Zeug eigentlich?« »Leo hat, L-Leo hat, L-, kann ich jetzt nicht sagen.« Er flüsterte durch den Hörer. »Wieso redest du so leise?« Statt einer Antwort kam nur ein unverständliches Flüstern, ein Zischen, das mal lauter, mal leiser wurde. »Sam?«
    Er flüsterte.
    »Sam? Ich verstehe nichts.«
    Aus dem Hörer kam ein einziger in die Ewigkeit gezogener Ton. Er hatte aufgelegt. Warum hatte er geflüstert? Seine Eltern waren im Urlaub in Italien, am Gardasee wie jedes Jahr. Sam war seit einer Woche alleine daheim. Doch er hatte geflüstert, als wäre jemand im Nebenzimmer, der auf keinen Fall etwas von dem Gespräch mitkriegen durfte. Es war Leos und Schenz’ |176| Idee gewesen, bei ihm zu feiern. Sie hatten ihm vorgeschlagen, eine kleine Party zu machen, eine »Session«, und Sam hatte genickt. Nur hatten wir alle drei noch ein paar anderen Freunden Bescheid gesagt, sodass sich Sam nicht ganz im Klaren darüber war, wie viele Leute vorhatten, an diesem Abend zu ihm zu kommen.
    Das Haus von Sams Eltern lag abseits der anderen, in einer Straße am Ortsrand, die nur von einer Seite mit Häusern bebaut war. Gegenüber wuchs mannshoher Mais. Es war Spätnachmittag und die Sonne schien schräg durch die sattgrünen Blätter der Pflanzen. Die Ferien hatten gerade begonnen, in ein paar Wochen würde das Feld abgemäht werden und dann wäre der Sommer zu Ende.
    Dahinter, in Richtung Wald, befand sich eine alte Scheune. Hier hatten Sam und ich heimlich unsere ersten Zigaretten geraucht. Er hatte mich ausgelacht, weil ich nur gepafft hatte, anstatt auf Lunge zu rauchen, und nachdem ich drei Zigaretten zum Üben gequalmt hatte, war mir schlecht geworden und ich hatte an die Wand der Scheune gekotzt. Sam hatte gelacht.
    Ich öffnete das gusseiserne Tor und ging über die Einfahrt hin zur Terrasse. Leo saß dort in einem klapprigen, bunt gemusterten Gartenstuhl. Trotzdem gelang es ihm, darauf zu thronen wie ein Plantagenbesitzer. Die Füße hatte er auf einen Schemel gelegt, fast lag er, nur sein rechter Arm ragte auf die Lehne gestützt empor und hielt eine Zigarette. Schenz saß neben ihm und hatte seine Ray-Ban-Sonnenbrille aufgesetzt. Mein Puls beschleunigte sich, als ich ihn sah. Ich war froh, seine |177| Augen nicht sehen zu können. Er wusste

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