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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Mattheis
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unbedingt etwas schenken. Dabei hasse ich ›Opium‹. Ich wollte das von Calvin Klein. ›Opium‹ riecht doch ekelhaft, oder?«
    Ich nickte. Warum musste sie ausgerechnet jetzt Schenz erwähnen?
    »Übrigens, dass das klar ist: Was heute Nachmittag passiert ist, bleibt unter uns. Ich habe keinen Bock, dass mich alle für eine Dorfschlampe halten.«
    |170| Ein Windstoß fuhr durch das Fenster in das Zimmer und strich über meinen Oberkörper. Mit einer schnellen Handbewegung ließ sie ihre Haare dreimal durch ein schwarzes Haargummi schlüpfen. Sie lagen nun eng an ihrem Kopf an, was ihr einen strengen Ausdruck verlieh. Ich nickte wieder.
    »Versprochen?«
    Ich nickte.
    Sie ging ins Bad und ich blieb alleine auf der blauen Bettdecke liegen.
    »Ich muss jetzt weg«, sagte sie, als sie angezogen und geschminkt zurückkam. Sie trug jetzt zu dem weißen Top einen kurzen schwarzen Rock. »Bin mit Sylvie verabredet.«
    Sie küsste mich auf die Wange und ich kapierte irgendwie, dass sie damit vor allem zum Ausdruck bringen wollte, dass ich derjenige war, der jetzt gehen sollte. Ich zog mein T-Shirt über, berührte nochmals ihre Hand und verließ das Haus.
     
    Die Gewissensbisse kamen auf dem Nachhauseweg. Sie schmerzten wie kleine Nadelstiche, während ich noch immer Sinas Geruch in meiner Nase hatte. Wie ich die Sache drehte und wendete, hier war etwas schiefgelaufen. Zumindest offiziell waren die beiden trotz all der Streitereien noch immer ein Paar und ich hatte also gerade mit der Freundin meines Freunds geschlafen. Und ich weiß nicht genau, was dann mit mir passierte, auf jeden Fall veränderte sich gerade was. Ich meine, es war einfach wirklich viel auf einmal: Sam, der durchdrehte, |171| und Leo mit diesen verrückten Plänen und Sina und ich drehten ja auch irgendwie ab, denn ich hatte ja mit der Freundin von einem Kumpel geschlafen. Da würde wahrscheinlich jeder irgendwie komisch wurde. Auf jeden Fall war es Spätnachmittag und meine Eltern noch nicht zu Hause. Abermals nahm ich die drei Briefe Hilde Stetlows, entzifferte die krakelige Handschrift auf ein Neues, in der Hoffnung, vielleicht etwas übersehen zu haben. Ich öffnete das mit einem Gummi zusammengehaltene Bündel und zählte die Geldscheine. Ich wollte meinen Finger nicht befeuchten beim Zählen, weil der Staub an den Scheinen wirklich eklig war. So haspelte ich durch das Papier, zählte und verzählte mich und begann mehrmals von Neuem. Am Ende kam ich auf die Summe von 4600   Mark. Rücklings legte ich mich auf mein Bett und starrte an das Weiß der Zimmerdecke.
    Das Geld musste weg. Es musste weg. Weg, weg, weg. Und die Briefe auch. Am besten jetzt sofort. Ich wollte, dass jetzt sofort alles wieder normal wurde.
    Ich erinnerte mich an einen alten Hochstand im Wald, er lag etwa drei Kilometer hinter dem Ortsrand. Ich ging in die Küche und nahm mehrere durchsichtige Plastiktüten. Aus der Garage holte ich mir eine kleine Gartenschaufel und fuhr los. Es war das erste Mal seit Monaten, dass ich wieder mein Fahrrad benutzte. Anfangs war mir die Bewegung fremd, weil ich wirklich das letzte Mal mit zwölf oder so mit dem Rad gefahren war.
    Eine Viertelstunde später stand ich in dem Waldstück. Die Sonne brach sich durch das Gestrüpp und die Nadelbäume in feine Strahlen. Ein Vogel gurrte |172| irgendwo in seltsam tiefem Ton. Es roch nach Moos und nach Harz. Der Boden sackte bei jedem meiner Schritte ein bisschen nach unten. Kleine Äste knackten in die Stille hinein. Ich sah mich um und vergewisserte mich, dass mich niemand beobachtete. Es war richtig, es war gut, das Geld musste unter die Erde. Sina hatte recht, es brachte Unglück. Es musste verschwinden, ich dachte, wenn mein Geld erst mal weg wäre und früher oder später auch das Geld der anderen, spätestens dann würde alles wieder »normal« werden, wobei ich gar keine Ahnung hatte, ob das überhaupt gehen würde, weil man die Zeit ja auch nicht einfach so zurückdrehen kann. Ich ging zum vorderen rechten Bein des Hochstands und machte – so wie es Piraten in Filmen immer tun – sieben große Schritte nach rechts. Die große Wurzel, vor der ich hielt, wollte ich mir einprägen. Mit der Hand fegte ich die kleinen Nadeln und Äste beiseite, bis ich Erdkrumen spürte. Es war dunkler, feuchter Torf. Niemand würde hier nach Geld suchen, niemand.
    Ich begann zu graben. Nicht zu tief, aber doch tief genug, damit das Plastik auf keinen Fall sichtbar werden würde. Etwa zwanzig Zentimeter tief.

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