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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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er sich gewöhnt hat. Und dann kam ich.
    Falls der Henner wirklich kommt und mich holt, will ich ihm einen Kuchen schenken; und so bleibe ich in der Küche und backe meinen ersten Kuchen ohne Hilfe. Volker und Frieda wechseln in die Stube über. Sechs Eier, dreihundertsechzig Gramm Zucker, die gleiche Menge Butter und Mehl. Kein Backpulver. Die geriebene Schale einer ganzen Zitrone, der Saft von vier Zitronen, etwas Vanille, eine winzige Prise Salz. Sechzig Minuten Backzeit, vierzig Minuten bei hundertachtzig Grad, zwanzig Minuten bei zweihundert Grad und aufpassen, dass er oben nicht zu dunkel wird; die Frieda hat es mir oft erklärt.
    Ich fühle mich sehr erwachsen hier drinnen. Die Fenster zum Hof stehen offen, der Alfred wirft einen Blick herein, schnuppert und nickt und lächelt unergründlich. Die anderen haben sich verstreut. Dann fügt sich alles wie von Zauberhand. Der Kuchen ist goldbraun gebacken und duftet herrlich, da höre ich seine Stimme drüben im Laden und das Lachen der Frauen. Sicher macht er ihnen Komplimente. Auf die Gisela bin ich sofort eifersüchtig. Sie trägt heute auch ein Kleid, und ihre blonden Haare fallen in duftenden Wellen über die weißen Schultern. Sie riecht unglaublich gut. Wir konnten uns nicht einig werden, was es ist. Irgendeine Mischung aus Rose und Sandelholz, und zu fragen schämen wir uns. Sie muss uns ja für hinterwäldlerisch halten, die Marianne und mich.
    Ich kann nicht verstehen, was er sagt, aber Marianne ruft jetzt meinen Namen. »Komm einmal herüber, Maria!«, ruft sie, »der Henner hat die Pferde dabei.« Den Kuchen habe ich schon vorgeschnitten und in Butterbrotpapier geschlagen. Das Paket stecke ich in meine Tasche, auch den Zettel lege ich hinein und einen Stift.
    Als ich den Laden betrete, bin ich augenblicklich beruhigt. Zwar scherzt er mit den Frauen, aber sein Blick gilt mir. In ruhigem, fast gleichgültigem Ton sagt er: »Da ist sie ja, die Maria. Ich hab die Stute mitgebracht, du wolltest doch heute mitreiten.«
    »Ja«, sage ich, »ich komme.«
    Dann hilft er mir auf die gesattelte Jella, der Hengst trägt nur eine Pferdedecke. »Bring sie heil wieder zurück, Henner!«, ruft uns die Marianne hinterher. Er nickt kurz, und ich schäme mich schrecklich.
    Nur einmal traben wir den Waldweg an den Gleisen entlang, dann kehren wir gleich zurück zum Hof. Dort bringt er die Pferde in den Stall und schließt das Haupttor. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, am Ende des Weges den Alfred gesehen zu haben.
    Drinnen in der Küche kocht er Kaffee, und ich packe den Kuchen aus. Er ist noch warm und riecht wild nach Zitronen. Der Henner nimmt sich ein Stück und isst. »Den hat doch die Frieda gebacken, oder?«, fragt er mich.
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, den habe ich gebacken.«
    Er schmunzelt und staunt wohl auch ein bisschen. »Der schmeckt hervorragend, Maria«, antwortet er, »das ist schon lang her, dass mir jemand einen Kuchen gebacken hat.« Sein Gesicht wird ganz dunkel, als er das sagt; er sieht mich eigentümlich an. Ich stehe auf, gehe zu ihm hinüber, ganz dicht gehe ich an ihn heran, und er zieht mich auf seine Beine.
    Dann legt er mich über den Küchentisch und nimmt mich. An der Tür liegen die Hunde. Sie haben ihre bulligen Köpfe auf die Pfoten gelegt und sehen still zu uns herüber.
    Später trinken wir kalten Kaffee und rauchen dazu. Auf dem Tisch liegt ein Gedichtband. Ich hatte meinen Kopf darauf liegen, als der Henner hinter mir stand und meinen Rock hochschob. Eine Strophe ist angestrichen, daneben stehen unleserliche Worte. Eine Frauenschrift, denke ich, das hat nicht der Henner geschrieben. Die Verse gefallen mir, obwohl sie mich wehmütig stimmen. Wir sind die Wandrer ohne Ziele, / Die Wolken, die der Wind verweht, / Die Blumen zitternd in Todeskühle, / Die warten, bis man sie niedermäht. »Von meiner Mutter«, sagt er, »die Bücher sind alle von ihr.« Er sieht mich lange an. »Die war auch nicht für die Hofarbeit geschaffen, genauso wenig wie du.« Und dann erzählt er mir lange von seiner Mutter, von der ich bisher nur gehört hatte, sie sei eine Trinkerin und irgendwie verschroben gewesen.
    Helene Henner, geborene Mannsfeld und in erster Ehe verheiratete Bechert, die Mutter vom Henner, war schon fünfunddreißig, als sie den Henner bekam. Geboren ist sie 1915 in der Hauptstadt, in einer bürgerlichen Familie. Sie war das einzige Kind. Ihr Vater ist im Krieg gefallen; er starb in einem Lazarett, nachdem man ihm beide Beine

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