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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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Herz. Wenn sie dich rettet, vergebe ich ihr alles …«
    Das ist es, was der Henner will. Das Herz und nicht den Stolz.
    Das allerletzte Kapitel aber, das Begräbnis des Jungen Iljuschetschka, hebe ich mir für später auf.
    Am Abend ist der Johannes so müde, dass er kaum noch stehen kann. Die harte Hofarbeit ist nicht seine Sache. Ich denke, der Siegfried weiß das und lässt ihn deshalb gehen. Er ist ja ein vernünftiger Mann. Schon die Hände vom Johannes sehen ganz anders aus als die vom Vater. Schmal und hell und sanft. Wenn er die Mistgabel hält, dann hat das nichts Natürliches, beim Siegfried dagegen schon. Man könnte meinen, es gäbe keine Entscheidungen, unsere Körper hätten ihre eigentliche Bestimmung von vornherein. Die Hände vom Johannes, die Pranken vom Siegfried, mein eigener Körper, der im Augenblick ganz für den Henner gemacht zu sein scheint.
    Ich denke an seine Hände, die denen vom Siegfried gleichen, aber doch ganz anders sind. Sie haben darauf gewartet, mich zu berühren.
    *
    Unten sitzt der Alfred ganz saumselig auf der Bank. Er sieht zufrieden aus, jetzt, wo seine Frieda wieder da ist. Es ist das Geheimnis, das sie aneinanderkettet, und sie werden es niemals verraten.
    Still ist es heute auf dem Hof. Kein Wind geht durch die Blätter der alten Kastanie. Die Katze liegt dem Alfred zu Füßen. Johannes schläft, der Lukas schon längst, Frieda ruht sich von ihrem Abenteuer aus, und Marianne sitzt endlich einmal ungestört vor ihren Zeitschriften, die sie neuerdings vorm Siegfried versteckt. Die Hühner jedoch laufen noch immer herum, obwohl es schon dunkel ist. Ich denke darüber nach, sie in den Stall zu scheuchen, verlasse mich dann aber auf den Alfred und lege mich zu Johannes ins Bett.
    Am nächsten Morgen, als ich auf den Hof hinaustrete, sehe ich die Marianne weinend auf der Bank sitzen. Ihre Arme hat sie auf die Beine gestützt und das Gesicht in den Händen verborgen. Sie weint so laut, dass kurz darauf auch Alfred und Frieda an den Fenstern erscheinen. Doch da sehe ich die Bescherung schon selbst. Der Fuchs war da gewesen, und alle Hühner sind tot.
    Das Schlimmste daran ist, dass es gerade jetzt passiert, wo der Siegfried nicht im Haus ist und Marianne die volle Verantwortung trägt. Er hat seine Meinungen über Frauen, und dazu gehört auch die Ansicht, man könne sie eben nichts allein machen lassen, da ginge alles schief. Das war nicht gerecht, aber in diesem Punkt war kein Reden mit ihm. Wir überlegen, was getan werden kann, und Johannes schlägt vor, neue Hühner zu kaufen. Doch da schluchzt die Marianne von Neuem los und sagt: »Das merkt er gleich. Er kennt doch jedes Tier hier persönlich.« Tatsächlich sagt sie »persönlich«, und irgendwie bringt mich das zum Lachen, aber ich reiße mich zusammen, so gut es geht.
    Schließlich gehe ich rüber in die Lindenschenke, wo meine Arbeitszeit beginnt, und rufe von da aus beim Hartmut an. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, dass auch wir bald ein Telefon haben werden mit einem eigenen Anschluss. Das scheint mir ein großer Luxus zu sein, und ich nehme mir für später fest vor, niemals die Zeiten zu vergessen, als es anders war. Hartmut ist nicht zu Hause, aber der Siegfried kommt ans Telefon und hört sich meine Rede schweigend an. Ich dachte mir schon, dass er nicht viel sagen würde, und so ist es auch. »Man kann sie eben nichts alleine machen lassen«, sagt er nach einer längeren Pause. Dann legt er auf. Der ganze Tag steht unter einem schlechten Zeichen.
    Als ich am Abend zurück auf den Hof komme, steht ein Auto in der Einfahrt, das ich nicht kenne. Es ist mein Vater, der sitzt auf der Bank und wartet auf mich.
    Über den Vater ist zu sagen, dass er eigentlich kein Vater ist.
    Ich erinnere mich nur an weniges. Wie es immer hieß, der Vater sei auf Montage, und wenn er dann auf Urlaub zu Hause war, hat er gleich wieder Streit angefangen. Vielleicht begann auch die Mutter den Streit, es wurde jedenfalls viel geschrien. Meine stärkste Erinnerung an ihn ist seine Abwesenheit. Obwohl sie verheiratet waren, wohnte er selten bei uns. Erst kam die Montage, dann die russische Trasse. Wenn er Urlaub hatte und nach Hause kam, dann war er stets unruhig, ging auf und ab, lief in den Wald und kam lange nicht wieder. Selbst im kältesten Winter mussten Grillfeuer im Garten entzündet werden. Das hatte er aus Russland mitgebracht, da wurde auch immer gegrillt. Der Wodka hielt die Männer warm, und die Frauen dort steckten in

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