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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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dicken Pelzen. Ja, und die Frauen. Wenn er auf Urlaub daheim war, ging er oft in die Stadt und kaufte Damenunterwäsche. In Russland, so sagte er, hätten sie nicht genug davon, das könne man dort gut verkaufen. Ich glaube nicht, dass er die Sachen verkauft hat.
    Er wusste nicht einmal, in welcher Schulklasse ich gerade war, und einmal, als er irgendwie sehr ungeschickt versuchte, mich zu erziehen, sagte ich zu ihm: »Von dir lasse ich mir gar nichts sagen«, und er antwortete mir: »Du bist genauso blöd wie deine Mutter.« Noch heute habe ich diese Worte im Ohr; sie hinterlassen ein schmerzendes Echo im Kopf. Mutter fand immer wieder Bilder und Briefe in seinen Taschen. Die Frauen wechselten, so wie die Trasse weiterging.
    Lange Zeit hasste ich ihn. Seinen Bart, seinen Blick, seine unruhigen kleinen Augen, seine hastige Art zu gehen und zu sprechen, einfach alles an ihm. Meine Mutter sah ich immer nur bedrückt. Sie ging umher in einer Wolke aus Traurigkeit, die schleichend auf mich übergriff und mit steter Kraft an meiner Seele nagte. Ich wusste, das werde ich nie mehr los.
    Dann hat er das Haus für uns gebaut – das war die einzige Zeit, als er einmal länger blieb –, doch eigentlich baute er es nicht für uns , sondern nur für die Mutter und mich. Froher hat mich das nicht gemacht; wir waren ja allein darin. Als er dann richtig weg war, ging es mir dennoch besser. Meiner Mutter aber nicht. Das habe ich nie verstanden.
    Später begriff ich, was ihn immer wieder wegtrieb: Eine Sehnsucht – nach Welt und Ferne. Dafür war es einfach zu eng in der DDR. Dieses kleine Land mit der Mauer drumherum, das war wie ein Käfig um ein wildes Tier. In Russland dagegen war alles weit und groß und schier unendlich. Da hat er besser atmen können als hier im Dorf. Und die Frauen haben ihm die Einsamkeit versüßt, unter der er litt und die er doch immer wieder suchte.
    Ich habe ihm längst verziehen, obwohl er mir etwas vorenthalten hat, das mit Geschenken und Entschuldigungen nicht aufzuwiegen ist: die Kindheit – diesen Abschnitt des Lebens, der, so sagen es alle, unbeschwert sei. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, dieses Unbeschwerte, aber die Sehnsucht danach ist noch immer da.
    Die Oma Traudel sagte oft zu mir, ich sei ihm ähnlich, auch ich hätte diese Unruhe und den Starrsinn in mir, und da sitzt er also, der Ulrich, mein Vater.
    Er schaut mich lächelnd an, springt auf und drückt mich an sich. Dann gehen wir ein Stück zusammen.
    »Warum wohnst du nicht mehr zu Hause?«, fragt er, und sein Blick wandert über die Wiesen.
    »Weil ich lieber hier sein will«, antworte ich kurz, und das genügt ihm.
    »Und du?«, will ich wissen, »ich habe gehört, du heiratest wieder?«
    »Ja«, sagt er und nickt zufrieden, »ich probiere es noch einmal … ist ein feiner Mensch, die Nastja.«
    »Ist erst neunzehn, habe ich gehört«, sage ich und ärgere mich gleich über den spitzen Ton in meiner Stimme, doch er bemerkt ihn nicht.
    »Ja. Neunzehn. Aber ein feiner Mensch«, wiederholt er, als wäre es eine besondere Leistung, mit neunzehn ein feiner Mensch zu sein.
    »Ich gehe nicht mehr zur Schule, Papa«, sage ich nun, und er schaut hinüber zum Sägewerk, das heute stillsteht.
    »Ach, bist du schon fertig?«
    »Nein. Ich gehe nur einfach nicht mehr hin.«
    Er scheint nicht überrascht zu sein und antwortet: »Man kann auch ohne Schulabschluss etwas Ordentliches werden. Außerdem wirst du ja morgen achtzehn, bist ja alt genug, um zu wissen, was du machst. Ich habe dir übrigens auch ein Geschenk mitgebracht.«
    »Siebzehn«, sage ich, »ich werde erst siebzehn.«
    »Siebzehn?«, fragt er erstaunt. »Wirklich? … Na ja, du wirst es schon richtig machen, Maria.«
    »Ja, ich werde es richtig machen.« Weiter hinten stehen die Jungbullen am Ufer des Flusses und saufen.
    Jetzt denke ich an den Siegfried und wie er manchmal mit einem einzigen wohlüberlegten Satz eine Entscheidung verkündet, die keiner anficht. Ich fühle mich sehr schwach.
    »Und mit dem Johannes?«, fragt er, sichtlich bemüht, ein anderes Thema anzuschlagen. »Läuft alles gut? Ist ein feiner Kerl, dein Freund.«
    »Ja, fein«, sage ich tonlos. Ich frage mich, wie er den Henner finden würde. Vielleicht würden sie sich gut verstehen und einen zusammen trinken gehen.
    »Komm, wir gehen zurück. Ich gebe dir noch dein Geschenk. Dann muss ich wieder.«
    »Zur Nastja?«, frage ich, und er nickt. Und dann laufen wir schweigend über die Wiesen zurück zum

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