Irgendwann werden wir uns alles erzählen
Soldat hob sein Gewehr und schrie: »Hände weg vom Zaun!«
So etwas vergisst man nicht.
Jetzt ist es schon fast ein Jahr her, dass wir rüber können, und wir haben es erst zwei Mal getan.
Der Siegfried jedenfalls will übermorgen, am Sonntag, nach Bayern fahren. Sie haben es so gedacht, dass er, wenn Hartmut die Frieda wieder herbringt, gleich mitfährt und eine Woche bleibt und dort einen Demeterhof besichtigt. Er ist ganz besessen davon. Die Arbeit des Vaters muss der Johannes übernehmen, und schließlich gibt es ja auch noch den Alfred. Da kann er sich einmal wichtig fühlen.
Am Montag fängt auch für mich die Arbeit an. Der Lindenwirt will mich einweisen, und am Dienstag soll es richtig losgehen. Das ist wohl auch gut so, da komme ich auf andere Gedanken und verdiene mein eigenes Geld.
Beim Abwasch hilft mir jetzt die Marianne. Sie riecht heute so ähnlich wie Hartmuts Frau, sie hat wohl doch gefragt, was das für ein Parfum ist. Als wir fertig sind, streicht sie mir übers Haar und sagt: »Bist eine richtige Hilfe geworden, Maria«, und da wird es mir wieder ganz elend zumute.
Kapitel 13
DER AUGUST IST mein liebster Monat. Noch immer ist es warm, doch nicht mehr so drückend wie im Juli. Eine sanfte Schwermut erfüllt mich, wenn sich der Sommer dem Herbst zuneigt und mein Geburtstag ansteht. Siebzehn werde ich, und mit jedem Jahr wächst das Gefühl, etwas bedeutsamer zu werden in der Welt. Aber nun, wo sie sich so erweitert hat, lässt auch die Wichtigkeit wieder nach. Dennoch, auf dem Hof werde ich schon ein wenig gebraucht, obwohl sie auch ohne mich wieder gut zurechtkämen.
Ich habe einen kühnen Plan gefasst: Ich werde meinen Geburtstag mit dem Henner verbringen. Das lässt sich ganz gut einrichten. Den Morgen bleibe ich bei den Brendels, und weil der Siegfried nicht da sein wird, muss Johannes den Rest des Tages arbeiten. Dann gehe ich noch zur Mutter, für eine Stunde oder zwei. Dort werde ich sagen, ich müsse auf den Hof zurück, weil sonst der Johannes traurig ist. Das wird sie verstehen. Dann werde ich über die Felder gehen, durch den mittlerweile hüfthohen Mais, hinunter ins Tal zu seinem Hof.
Heute kommt die Frieda zurück. Wir sind schon ganz gespannt darauf, was sie erzählen wird. Doch als sie dann endlich da ist, sieht sie ganz krank aus und legt sich gleich auf das Sofa in ihrer Stube. Hartmut sagt, sie sei schon seit drei Tagen unleidlich und hätte nicht mal mehr richtig essen wollen. Ich denke, wenn eine wie die Frieda ihr ganzes Leben auf dem Hof verbracht hat und höchstens mal bis in die Kreisstadt gefahren ist und einmal an die Ostsee, dann ist es eine ziemlich große Reise bis nach Bayern. Und ich habe recht. Später erzählt sie uns, wie unwohl sie sich gefühlt hat so weit weg vom Hof, im Gästezimmer vom Hartmut und mit den modernen Möbeln. Ganz unruhig ist sie geworden, und den Alfred hat sie vermisst. Gerade den Alfred! Jedenfalls ist sie heilfroh, wieder da zu sein, und am Abend geht es ihr wieder richtig gut. »Hast du die Küche besorgt, Maria?«, fragt sie mich – es ist das erste Mal, dass sie mich nicht in der dritten Person anspricht.
Jetzt haben wir Montag. Der Siegfried ist weg, und ich gehe rüber zur Lindenschenke, die heute geschlossen hat. Nur der Stammtisch ist offen. Meine ersten Kunden sind die Trinker des Dorfs, und zu meiner großen Freude ist der Henner nicht dabei.
Es gibt nicht viel zu tun, immer dieselben Runden: ein Schnaps, ein Bier und zwischendurch Gehacktes mit Ei und Zwiebeln.
Nach zwei Stunden meint der Wirt, ich hätte das Wichtigste gelernt, und schickt mich wieder heim. Der Tag ist noch jung, Johannes schuftet im Stall, und ich lese die Geschichte der Brüder Karamasow beinahe zu Ende.
Ich verstehe jetzt, warum sich der Henner gefreut hat, als ich Gruschenka der Katarina Iwanowna vorzog. Obwohl sie sehr böse sein kann, denn als Dmitri sein Urteil bekommen hat – zwanzig Jahre sibirisches Lager – und als Katarina Iwanowna ihn noch einmal aufsucht, obschon sie vor Gericht gegen ihn ausgesagt hatte, da erscheint plötzlich Gruschenka, und Katarina Iwanowna bittet sie um Vergebung. Doch Gruschenka antwortet: »Bös sind wir, meine Gute, du und ich. Wir beide sind böse. Wie sollten wir da vergeben, du oder ich? Rette ihn, und mein Leben lang werde ich es dir danken.« Nur danken will sie Katarina also, nicht vergeben, und Mitja ist ganz verzweifelt darüber, aber Gruschenka sagt: »Der stolze Mund hat gesprochen und nicht ihr
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