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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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Herren und wirbelt mich über die Tanzfläche. Schon ist der Nächste da, und sie reichen mich herum wie eine Trophäe. Spätestens dann beginnt es, gefährlich zu werden. Ständig muss ich irgendwem auf die Finger klopfen, weil sie ihre Hände überall haben. Die Ehefrauen sehen zu meinem Leidwesen großzügig darüber hinweg. Gegen Mitternacht ist hoffentlich Schluss. Die meisten sind um die sechzig und halten nicht mehr lange durch.
    Kurz vor eins ist der Tanzsaal tatsächlich leer, doch drüben am Stammtisch sitzen noch fünf Übriggebliebene. Sie haben schon so viel Schnaps und Bier getrunken, dass selbst der Lindenwirt befürchtet, sie könnten es nicht mehr bis nach Hause schaffen. Einer von ihnen ist der frühere Abschnittsbevollmächtigte Riedel. Er ist schon seit mindestens zwei Jahren in Rente, weiß aber noch immer über alles Bescheid. Über ihn sagt man, er habe den Henner jahrelang im Visier gehabt und ihm das Leben schwer gemacht. Damals, als die Frau vom Henner weggelaufen ist, so erzählen es die Leute – und das ist die gängigste Version der Geschichte –, sei das so gekommen: Der ABV und die Staatssicherheit hätten sie auf den Henner angesetzt, um ihn zu überwachen. Er war in seinen jungen Jahren politisch gewesen und hatte Kontakt zu einem Musiker namens Lutz gehabt, der politische Lieder schrieb und später ins Gefängnis kam. Jedenfalls begannen für den Henner die Probleme, als die Frau einzog. Eine Weile lief alles wie gehabt. Doch plötzlich gab es häufiger Kontrollen auf dem Hof. Sie hatten sich dort manchmal getroffen, der Henner, der Lutz und ein weiterer Freund, der sich angeblich für die Pferde interessierte, aber eigentlich Bühnenmaler im Stadttheater war. Doch als die Frau eine Weile dort lebte, Ursula hieß sie, kamen just an diesen Abenden der ABV mit einem Kollegen vorbei, der mit ziemlicher Sicherheit bei der Stasi war. Die Stasi hat zwar geglaubt, sie sei ganz geheim, aber hier auf den Dörfern ahnte man meistens, wer dabei war und wer nicht.
    Der Henner wurde mit Aussagen konfrontiert, die er wohl gemacht haben musste, die aber nur wenige Leute gehört haben konnten. Irgendwann fiel ihm der Zusammenhang zwischen der Ursula und den ABV-Besuchen auf, und er stellte sie zur Rede. Sie leugnete alles, doch am nächsten Morgen war sie mit all ihren Sachen auf und davon. Kurz darauf versetzte der Henner dem ABV völlig betrunken einen Faustschlag ins Gesicht, und später, als die Polizei auf den Hof kam, um ihn mitzunehmen, muss er enormen Widerstand geleistet haben. Dann kam er ein paar Wochen ins Gefängnis. Richtig nachweisen konnte man ihm nichts, bis auf den Widerstand gegen die Staatsgewalt.
    Aber nie wieder ließ er eine Frau für längere Zeit auf den Hof, und das Trinken wurde seit dem Gefängnis richtig schlimm.
    Nun sitzt er dort am Tisch, der ABV, und redet in großen Worten und mit weiten Gesten darüber, wie gut es ist, dass Deutschland wieder vereint wird. In diesem Moment betritt der Henner den Raum. Er ist vollkommen nüchtern und kommt wohl meinetwegen – er kennt ja den Heimatverein –, aber als er den ABV sieht, geht er schnurstracks zum Stammtisch und setzt sich wortlos dazu.
    Die alten Herren saufen, was das Zeug hält. Korn, Wodka, Weinbrand, alles durcheinander. Und dann passiert etwas. Ich bringe eine neue Runde an den Tisch, und der Abschnittsbevollmächtigte Riedel legt seine Hand auf meinen Hintern und sagt: »Wenn ich ein bisschen jünger wär’, würd’ ich das Mädel gleich hier nehmen!« Dazu lacht er wie ein Verrückter. Ich winde mich aus seinem Griff und gehe zur Theke zurück. Aber der Henner steht jetzt auf. Er tritt hinter den Stuhl vom ABV, packt ihn am Kragen und zerrt ihn vor die Tür. »Halt!«, schreit der Wirt. »Ich will hier keinen Ärger, geh nach Hause, Henner, los, verschwinde!«
    Ich laufe hinter ihnen her, die anderen bleiben sitzen, als wäre nichts geschehen. Sie stehen draußen, direkt vor der Tür, und ich glaube, der Henner bringt den ABV jetzt um. Er hat ihm die Hände um den Hals gelegt, und ich höre ein Röcheln und sage eindringlich, doch leise, zu ihm: »Lass ihn los. Wir gehen jetzt sofort zusammen nach Hause, aber lass ihn los. Ich komme mit zu dir, aber lass ihn los, bitte – lass ihn los, lass ihn los, lass ihn los …!« Ich weiß nicht, wie oft ich das gesagt habe, irgendwann jedenfalls liegt der ABV kotzend am Boden, und der Henner packt mich am Handgelenk und zieht mich mit. Er ist so außer sich, ich

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