Irgendwas geht immer (German Edition)
Gans gierig damit vollstopfen würde.
Ich wünschte, dieses Mädchen würde wenigstens ein Minimum an Mäßigung an den Tag legen, denn mir ist sehr wohl bewusst, dass sich unter all dem Speck und der Plastikverpackung meiner Schwester etwas verbirgt, das das Potential einer Schönheit in sich trägt. Folglich könnte eines Tages tatsächlich eine Dreamgirl-Dora zum Vorschein kommen.
Ich bin mir sehr wohl der Tatsache bewusst, dass ich kein David im Stile eines Michelangelo bin, doch ich fürchte, die unschöne Wahrheit ist, dass es bei einem Vertreter des männlichen Geschlechts weit weniger ins Gewicht fällt. Ein Mann von stämmiger, kräftiger Gestalt wie ich vermag durchaus als ansehnlich betrachtet zu werden, steht dies doch ebenso für eine gewisse Gewichtigkeit. Auch auf die Gefahr hin, arrogant oder eitel zu wirken, kann ich mit Fug und Recht behaupten, nicht übersehen zu werden. Zumindest in physischer Hinsicht. Dussel-Dora hingegen scheint jemand zu sein, den dies nicht im mindesten kümmert. Die Ironie daran ist nur allzu leicht erkennbar, denn natürlich kümmert es sie sehr wohl, was andere über sie denken. Von den linkischeren, geschwätzigeren unter meinen Schulkameraden weiß ich, dass sie als beinahe hübsch, aber viel zu verklemmt gilt.
Wüsste Dora Dummkopf doch nur um das Potential, das in ihr schlummert, könnte sie gewiss zu einem reizenden Schwan heranwachsen. Doch bezweifle ich, dass diese jüngste Zurschaustellung ihres Irrsinns sich dabei als sonderlich hilfreich entpuppen wird. Weiße Lebensmittel. Wovon spricht dieses Mädchen? Strebt sie etwa eine Wolken-Diät an?
Nach diesem wenig vielversprechenden Tagesbeginn musste ich mich der Tatsache stellen, dass es bereits wieder Dienstag war und ich unvermeidlicherweise mein Versprechen George gegenüber einhalten musste, die Ablage auf Vordermann zu bringen, trotz der Gewissheit, dass sich mir auch heute keinerlei Chance bieten würde, einen Blick auf meinen geliebten Noel zu erhaschen. Doch zöge ich mein Versprechen zurück, wäre dies ein untrügliches Zeichen für meine Leidenschaft für ihn. Deshalb wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als einen weiteren sinnlosen, fruchtlosen Dienstag mit Frondiensten zu absolvieren.
Es kostete mich gewaltige Überwindung, mich mit Lisa zu unterhalten, die in stetem Strom vor sich hin plappert, scheinbar ohne mein erlahmendes Interesse zu bemerken. So wurde ich heute Opfer eines besonders abscheulichen Monologs:
»Okay. Hör gut zu. Amputation. Mag für dich vielleicht unwahrscheinlich klingen, aber nehmen wir mal an, Peter-Schrägstrich-Oscar, ein Mensch sei mit einem Arm oder einem Bein in einem brennenden Autowrack eingeklemmt, klar? Stell dir vor, wie es aussieht. Schlimm, ja? Sofortiges Handeln ist angesagt. Erstens: Anlegen eines Druckverbands mit Hilfe von Stofffetzen, um die Arterie abzuklemmen. Zweitens: Die Präzision des Schnitts, um dabei keine wichtigen Arterien zu verletzen. Drittens: Die korrekte Durchtrennung der Muskeln und das Zurückziehen der Haut sind von essentieller Bedeutung für den Heilungsprozess. Und der Stumpf sollte zügig abheilen, Kumpel, wenn du nicht riskieren willst, dass Wildtiere um dich herumschleichen und auf dich losgehen, sobald das Lagerfeuer erloschen ist.«
All diese Details sind offenbar von größter Bedeutung bei diesem monströsen Unterfangen und mussten aus diesem Grund in epischer Breite dargelegt werden. In übelkeiterregender Breite. An irgendeinem Punkt ihrer blutigen Schilderung stand ich förmlich im Begriff, Lisas Arterien aufzuschlitzen oder ihr unter Zuhilfenahme all der Tricks und Kniffe, die sie mir soeben dargelegt hatte, die Zunge herauszuschneiden. Stattdessen arbeitete ich mich zentimeterweise in Richtung Tür zu meinem Ablagekabuff vor, um schließlich endgültig die Flucht zu ergreifen.
Ich hatte lediglich die letzten fünf Buchstaben des Alphabets zu sortieren, was gnädigerweise nicht allzu viel Arbeit bedeutete. Mit großem Interesse las ich die Aufzeichnungen über die Familie Vicker durch, die bereits in der zweiten Generation Patienten in Mamas Praxis waren und sich mit Unerfreulichkeiten wie mangelndem Selbstwertgefühl und Depressionen herumschlugen. Auch die Nöte der Walker-Familie waren recht unterhaltsam, vor allem der Vorfall der Selbstverstümmelung mit einem Teppichmesser. Gerade als ich mich dem Ende meiner Arbeit näherte, bemerkte ich, dass eine Akte beim Buchstaben »W« nicht an der richtigen Stelle
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