Irgendwas geht immer (German Edition)

steckte. Bei genauerer Betrachtung entdeckte ich zu meinem Erstaunen den Namen »Wilson« darauf. Natürlich musste ich sofort den Inhalt lesen, obwohl mir klar war, dass der Name sehr geläufig ist und es höchst unwahrscheinlich war, dass diese Patienten in irgendeinem Zusammenhang mit meinem Freund Wilson standen.
    Der Fall war überaus tragisch. Offenbar war der junge Luke, als er im Alter von drei Jahren mit seinem Vater beim Angeln war, durch die einsetzende Flut auf einer Sandbank vom Ufer abgeschnitten worden. Auf Geheiß seines Vaters war der kleine Luke auf die Schultern seines Vaters geklettert, um nicht versehentlich den Kopf unter Wasser zu bekommen. Die Mutter und der ältere Bruder, die am Ufer zurückgeblieben waren, hatten bereits um Hilfe gerufen, doch der ältere Bruder hatte es nicht erwarten können und sich in die Fluten gestürzt, um den beiden Ärmsten zu Hilfe zu eilen. Als er endlich zu den beiden gelangte, stellte er fest, dass die Füße seines Vaters im Schlamm stecken geblieben waren und er sich nicht befreien konnte. Mittlerweile hatte die Flut vollends eigensetzt, so dass der Wasserspiegel zügig anstieg und bereits bis zum Kopf des Vaters reichte. Wieder und wieder tauchte der ältere Bruder hinab und versuchte, die Füße des Vaters frei zu bekommen, doch es war vergeblich. Schließlich verlor er sogar sein Leben bei dem Versuch, und als das Rettungsboot eintraf, um den kleinen Luke zu befreien, kauerte dieser noch immer auf den Schultern seines längst ertrunkenen Vaters.
    Ich ertappte mich, wie mir bei dieser schauderhaften Schilderung Lukes die Tränen über die Wangen rannen. Wie sollte man eine derartige Tragödie jemals verwinden? Mir fiel auf, dass Mama in ihrer Analyse der Schuldgefühle des bedauernswerten Jungen eindrucksvolle Klugheit an den Tag gelegt hatte. Seine schlechten Zensuren in der Schule und die allgemeine Unzulänglichkeit im Alltag, die seiner Mutter so große Sorgen bereiteten, waren zweifellos ein Resultat dieser grauenvollen Tragödie. Er prophezeite häufig sein eigenes Versagen und arbeitete dann systematisch darauf hin, dass es sich auch bewahrheitete. Er kam einmal pro Woche zu Mama zur Therapie, und ganz langsam gelang es ihm, sich von den zentnerschweren Gewichten seiner Schuldgefühle zu befreien und wieder am Leben teilzuhaben. Der arme Luke. Mir blutete das Herz beim Gedanken an den bedauernswerten kleinen Kerl.
    Als ich zur letzten Seite kam, entdeckte ich die Kontaktdaten auf der Umschlagseite der Akte. Lukes Mutter, die einmal im Monat an einer Therapiesitzung teilnimmt, heißt Karen und arbeitet in einer Schulkantine. In der Kantine meiner Schule. LUKE WILSON . Ich wusste nicht, dass er Luke heißt. In der Neunten spricht man sich nicht mit Vornamen an. Luke ist also Wilson.

VIERUNDDREISSIG
    DORA
    Okay, ich muss meine Hausarbeit bis Ende dieser Woche abgegeben haben, also werde ich folgendermaßen vorgehen: Bevor ich loslege, werde ich eine Liste mit den Dingen zusammenstellen, die ich für den Schulabschlussball und meine eigene Party noch erledigen oder besorgen muss.
    Schulabschlussball
     
Lila Ballkleid (bis übers Knie, trägerlos mit Petticoat aus Netzstoff)
Dazupassende Handtasche (klein, aber groß genug, dass ein Handy reinpasst)
Dazupassende Schuhe (mindestens neun Zentimeter hoch)
Trägerloser BH mit Bügeln (80 E )
Dazupassendes Miederhöschen
Zu meiner Haarfarbe passendes Haarteil, das gelockt und hochgesteckt werden kann
Diadem oder Blume oder Glitzerspange
Kurzes Jäckchen oder eines dieser Pelzdinger zum Umhängen
Strümpfe (entfällt, wenn ich vorher noch ins Bräunungsstudio gehe)
Falsche Wimpern mit Glitzer
Schmuck – Halskette, Ohrringe, Ringe (müssen teuer aussehen. Oder etwas aus Mums Schmuckschatulle)
Termin im Sonnenstudio, Friseur, Maniküre und komplette Pediküre mit Nagel-Tips vereinbaren
Limousine buchen oder checken, ob ich mit jemand anderem mitfahren kann
Kamera besorgen. Die in meinem Handy taugt nichts
Dads Videokamera aufladen und mitnehmen
Freund oder Begleiter für den einen Abend besorgen
    Eigene Geburtstagsparty. Motto: Bunny-Party
     
Großen Raum in einem Hotel reservieren
Bunny-Outfit besorgen (normales sexy Outfit, aber mit Bunny-Ohren und -Schwänzchen)
Netzstrümpfe
Schuhe (mindestens zehn Zentimeter hoch), schwarz, Lack
Große Ohrringe (Kreolen, die aber nicht prolomäßig aussehen dürfen)
Diadem (mit GEBURTSTAGSKIND drauf)
Riesige Torte (mit lustiger Figur von mir drauf) ODER massenhaft