Irgendwas geht immer (German Edition)
nun schien sie, zumindest für eine Weile, guter Dinge zu sein. Ich beobachtete, wie der Vater und sie sich redlich bemühten, sich von ihrer umgänglichen Seite zu zeigen, und offenbar großen Gefallen daran fanden. Ich wünschte, Mama könnte sich von Zeit zu Zeit bemühen, ein Lächeln auf die eigentlich so freundlichen Züge des Vaters zu zaubern, zeigt er doch eine so große Bereitschaft, seiner Freude Ausdruck zu verleihen. Wohingegen sie in letzter Zeit nur selten Anstalten macht …
Plötzlich spürte ich Wilsons Hand, die unter dem Tisch mein Knie drückte. »Sie verstehen sich wirklich gut, was? Wir könnten die Brady-Familie sein.«
Wilsons Annahme, dass mein Vater zur Verfügung stehen könnte, schockierte mich zutiefst. Tut er das etwa? Ich hoffe, nicht. Es gibt wohl nichts Peinlicheres als einen verlogenen, treulosen Vater.
»Nein, nein«, wiegelte ich eilig ab. »Er freut sich nur über die Gelegenheit, wieder einmal unter Leute zu kommen. Er ist nur ein bisschen überdreht, das ist alles.«
»Klar«, gab er, wenn auch wenig überzeugt, zurück.
»Wilson … Luke«, flüsterte ich. »Ich muss mich bei dir für meine abscheuliche Indiskretion entschuldigen. Was ich getan habe, tut mir unendlich leid. Deine Leidensgeschichte geht mich einen feuchten Kehricht an. Ich hoffe, du weißt, wie sehr ich mich dafür schäme. Glaubst du, dass du mir meine Missetat verzeihen kannst, mein lieber, lieber Junge? Du hast jedes Recht der Welt, verdammt wütend auf mich zu sein. Das ist mir bewusst.«
»Es ist mir unmöglich, dich zu verabscheuen«, erwiderte Luke. »Ich bin dir noch immer zutiefst verbunden und weiß, dass ich auch weiterhin an deiner Seite bleiben und dort sehr gut aufgehoben sein werde.«
»Das wirst du, lieber Luke, das wirst du. Muss ich meine Entschuldigung auch bei deiner bezaubernden Mutter vorbringen?«
»Sie weiß von alldem nichts, deshalb besteht keine Notwendigkeit. Und sieh sie dir an – sie ist so glücklich heute Abend. Ruinieren wir ihr diese Stunden nicht. Und uns anderen ebenso wenig.« Er zwinkerte mir zu, und ich ertappte mich dabei, wie sich meine Stimmung augenblicklich hob. Ja, er ist schon ein ganz besonderer junger Mann, unser Luke Wilson. Ich schwöre, seine erstaunliche Kraft und seine Gabe, sich stets freundlich zu zeigen, haben mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich muss zugeben, dass dieser Junge ein ganz klein wenig phantastisch ist, nun da ich lange genug innegehalten und es endlich bemerkt habe.
Als Nächstes machte er sich daran, gleich drei Fragen nacheinander korrekt zu beantworten – ein Hattrick, der uns bei Jupiter den Dimbleby Cup zurückbrachte, uns und damit der Schülerschaft, wo er rechtmäßig hingehörte. Sieg auf der ganzen Linie. Unnötig, zu erwähnen, dass der Schulleiter vor Wut schäumte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wilson sah ihm in die Augen, dann erhob er sich und verbeugte sich mit einer eindrucksvollen Demonstration des Trotzes, gepaart mit tadellosen Manieren, worauf der Schulleiter keine andere Wahl hatte, als den Gruß zu erwidern und zu lächeln.
Wilson ist definitiv ein ernstzunehmender Kandidat, deshalb habe ich ihn aus einer spontanen Eingebung heraus als meinen offiziellen Begleiter für die Feier zu Doras achtzehntem Geburtstag eingeladen.
FÜNFUNDSECHZIG
MO
Habe ich vielleicht ein Schild um den Hals hängen, auf dem all meine geheimsten Gedanken geschrieben stehen? Wie kommt es, dass meine Mutter immer sofort Bescheid weiß? Genau aus diesem Grund war ich nicht allzu begeistert von der Aussicht, bei ihr vorbeizusehen. In letzter Zeit habe ich mich bemüht, das Gespräch bei meinen Besuchen hauptsächlich auf sie zu konzentrieren, aber es ist, als wäre ich ein offenes Buch für sie. Kaum sitze ich vor ihr, nimmt sie mich mit chirurgischer Präzision auseinander. Sie spürt, dass mich irgendetwas beschäftigt, und will unbedingt, dass ich mich ihr anvertraue. Was ich in den letzten Jahren konsequent vermieden habe. Ich empfinde ihr Interesse als aufdringlich und ertrage die Vorstellung nicht, dass sie mich so gut kennt. Ihre Besorgnis hat manchmal etwas regelrecht Klaustrophobisches.
Eine Zeitlang dachte ich, sie sei nur neugierig und wolle unbedingt alles über mein Leben aus mir herausquetschen, weil ihr eigenes seit Dads Tod so langweilig und ereignislos geworden ist und sie durch mich praktisch indirekt daran teilnehmen kann. Ehrlich gesagt hat es mich nie gestört, und manchmal habe ich meine Schilderungen
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