Irgendwo dazwischen (komplett)
außerhalb der
Schule gut. Zumindest haben wir uns einmal gut verstanden. Am wenigsten innig
ist mein Verhältnis zu Lia. Vielleicht deswegen, weil sie das Leben hat, das
ich gerne hätte. Sie sieht mir am ähnlichsten. Aber sie ist das Model.
Sie ist meine größte Konkurrentin. Ein Teil von mir hasst sie dafür, ein
anderer liebt und bewundert sie. Und weil das schwierig ist, gehe ich ihr aus
dem Weg. Sie erinnert mich daran, dass ich mich klein fühle. Sie ist die, mit
der ich mich messe. Und immer ziehe ich den Kürzeren.
Auch sie ist blond, auch sie hat blaue Augen. Doch sie ist 1,80 m,
sie hat eine viel größere Oberweite, sie hat die Noten, die Selbstsicherheit,
die Ausstrahlung, das gewisse Etwas . Wäre sie an meiner Schule gewesen,
wäre ich ein absoluter Niemand. Ich wäre nicht einmal ein Schatten. Ich hätte
einfach nicht existiert. Manchmal hoffe ich, dass ich mich in den nächsten drei
Jahren noch entwickeln werde, dass meine Brüste sich endlich dazu entschließen,
proportional mit meiner Körpergröße mitzuhalten.
Und manchmal wünschte ich, Lia würde über Nacht total fett.
Einfach unglaublich fett. Eine Hauterkrankung würde auch reichen. Schlimme
Akne. Doch das passiert nicht, und wenn doch, würde mich ein schlechtes
Gewissen plagen, weil ich es mir gewünscht habe.
Es wäre einfach schön, wenn manchmal ich diejenige wäre, mit der
meine Eltern bei ihren Freunden angeben. Doch dann wird mir klar, dass der Zug
abgefahren ist. Seit ich vierzehn bin, habe ich dieselbe BH Größe. Lia könnte
jeden Tag einen Ochsen fressen und würde dennoch ihr Gewicht halten, und ich
habe sie noch nie mit einem Pickel gesehen. Und wenn ich nicht urplötzlich zur
Spitzensportlerin mutiere und Gold in verschiedenen olympischen Disziplinen
hole, werde ich nicht zum Gesprächsthema in elterlichen Angeberrunden. Nicht in
diesem Leben. Es ist eben, wie es ist.
Und obwohl ich das weiß, kann ich solche Sätze wie, Also Lia
hat ja neben der Schule noch gemodelt und trotzdem nie so schlechte Noten
geschrieben… , oder Emma, was ist denn bloß los mit dir? Du musst ja
nicht gleich so wissbegierig sein wie Leni, aber ein bisschen Bildung hat noch
keinem geschadet... , oder Schön sein bezahlt einem nicht die Miete, wenn
man nicht gerade Model ist... , oder Elias studiert Medizin... Er wird
Chirurg... Und was willst du tun? , einfach nicht mehr hören...
Ich habe gelernt, nach außen hin damit klar zu kommen, sogar gerne
die weniger Perfekte in dieser abartig perfekten Familie zu sein. Was innen los
ist, geht keinen was an. Und Männer sind das Beste, um den versteckten Teil zu
verwöhnen. Eine Art innere Haarkur. Die ganzen Typen aus meiner Schule ziehen
mich mit ihren Blicken aus. Und wenn sie es schlau anstellen, dann dürfen sie
mich wirklich ausziehen. Meine neueste Errungenschaft ist Clemens. Er ist der
Hingucker der Schule. Er ist der, an den die Mädchen denken, wenn sie den
Duschkopf langsam zwischen ihre Beine führen, auch wenn das natürlich keine
tut. Pfui. Also klar, jede tut es, doch man redet nicht darüber. Und jede
zweite denkt an Clemens. Und er denkt an mich, wenn er sich etwas Gutes tut.
Und dieser Gedanke ist viel toller als der Gedanke an eine Eins mit voller
Punktzahl in Mathe. Mal im Ernst. Eine Schule ist eine riesige Kontaktbörse.
Alle schwimmen in einem gefährlichen Hormoncocktail und liegen auf der Lauer.
Es ist doch verrückt, dass es früher hieß, dass masturbieren blind machen
würde. In Wirklichkeit wirken regelmäßige Ejakulationen in der Pubertät
vorbeugend gegen Prostatakrebs. Ist ja auch egal. Es gibt jedenfalls nur zwei
Sorten Menschen, die gerne zur Schule gehen. Naja, vielleicht auch drei.
Nämlich Streber, also komische Leute, oder diejenigen, die nach etwas suchen,
meistens nach dem anderen Geschlecht. Die dritte Sorte sammelt Freunde, von
denen sie den Großteil nach dem Abitur verlieren wird.
Ich bin Typ zwei. Clemens könnte das Ende meiner Suche sein, wäre
da nicht das Problem, dass meine beste Freundin auch auf ihn steht... und sie
hat es mir gesagt. Ich kann also nicht so tun, als hätte ich es nicht gewusst,
weil ich es genau weiß. Und sie weiß, dass ich es weiß. Sie ist sowieso
eifersüchtig auf mich. Und Lili schaut nicht einmal schlecht aus. Im Gegenteil.
Sie ist wirklich schön. Der Haken ist, dass sie das nicht weiß. Vielleicht
besser so.
Ich will ihr nicht wehtun. Ehrlich nicht. Ich liebe Lili. Sie ist
eine der wenigen Menschen, die mehr in mir sehen
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