Irische Küsse
draußen schlugen die Wogen höher, von weißen Schaumkronen bekränzt.
Der Nachmittag neigte sich der Abenddämmerung zu, der Himmel wurde fahler. Honora erreichte das Ufer, als auch John und seine kleine Schar die Pferde an dem flachen Küstenstreifen zügelten. Kein Zeichen von Ewan und Trahern. Honoras Magen drohte sich umzudrehen.
Bitte, lieber Gott, lass ihnen nichts zugestoßen sein , flehte sie zum Himmel.
Zwischen zwei Pferden stolperte ein an den Händen gefesselter Gefangener in einem sackartigen Gewand, den Kopf unter einer schwarzen Kapuze verborgen. Ob Mann oder Frau konnte Honora nicht ausmachen. Der Gefangene war von zierlicher Gestalt, vielleicht ein Halbwüchsiger. Sie griff nach ihrem Schwert und machte sich auf das Schlimmste gefasst.
Der Baron ritt ihr entgegen und zügelte sein Pferd. „Ich heiße Euch willkommen, Mylady of Ceredys.“
„Was habt Ihr getan?“, fragte sie schroff und wies auf die verhüllte Gestalt.
„Ich bringe Euch ein Geschenk. Findet den Schatz, und ich lasse den Gefangenen frei.“
„Wer ist es?“ Sie wollte sich der verhüllten Gestalt nähern, doch John hinderte sie daran mit vorgehaltener Schwertspitze.
„Geduld, Mylady.“ Er hielt die Waffe auf sie gerichtet, ohne vom Pferd zu steigen. „Wie ich sehe, seid Ihr bereits fleißig auf der Suche. Was habt Ihr gefunden?“
„Nichts.“
„Aber Marie sagte Euch, wo Ihr suchen sollt, nicht wahr? Ihr wisst, wo sich das Versteck befindet.“
Honora würdigte ihn keiner Antwort. „Wer ist der Gefangene?“
John lachte hohl. „Jemand, der versuchte, Euch zu retten. Ein Narr.“
Er gab einem Bewaffneten einen Wink, der dem Gefangenen die Kapuze wegriss.
Und Honora starrte in die angstvoll aufgerissenen Augen ihrer Schwester.
21. KAPITEL
Ich reite zu Honora zurück. Du bleibst hier und wirbst Männer aus dem Dorf an.“ Ewan band sein Pferd los und wollte aufsteigen. Es war höchste Eile geboten, er musste die Bucht noch vor John erreichen.
„Du reitest nicht allein“, hielt Trahern ihm entgegen.
Ewan hatte die jahrelange Bevormundung seiner Brüder endgültig satt, die ihm ständig gesagt hatten, er sei zu jung und zu schwach, um zu kämpfen. Wütend packte er seinen um einen Kopf größeren Bruder am Kragen und stemmte ihn gegen den nächsten Baumstamm. „Diese Leute sind der Grund, warum Honora zurückgekehrt ist. Befreie sie aus ihrer Gefangenschaft und rede mit ihnen. Die Männer erklären sich mit Sicherheit bereit, uns zu helfen.“
Da John zur Küste geritten war, bot sich die günstige Gelegenheit, Hilfe von den Dorfbewohnern für den Kampf gegen ihren grausamen Herrn zu erbitten.
„Ich brauche dich hier“, fuhr Ewan gefasster fort. „Komme mit möglichst vielen Männern zur Bucht.“
Er las Zweifel in Traherns Blick, sein Zögern, ihn gehen zu lassen. Und dann spielte Ewan seine letzte Trumpfkarte aus. „Befreie die Leute, so wie du Ciara befreien wolltest.“
Traherns Blick verdunkelte sich, seine Miene wurde starr. Doch schließlich nickte er seine Zustimmung und wandte sich zum Gehen.
Ewan schwang sich in den Sattel, stieß dem Pferd die Absätze in die Flanken und jagte im Galopp los. Eine dumpfe Leere war in ihm, sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass Honora etwas zustoßen könnte. Das durfte er nicht zulassen.
Sie war zwar nicht völlig allein, aber er musste verhindern, dass sie John ohne seinen Schutz begegnete. Er wurde das Bild in seinem Kopf nicht los, als sie geschlagen auf dem Übungsplatz lag – mit Johns Schwert an der Kehle. Die Vorstellung, Honora könnte dem Unhold in die Hände fallen, brachte ihn fast um den Verstand.
Leichter Regen setzte ein, der Wind schlug ihm ins Gesicht, als er die Küste erreichte. In den Dünen schlug er ein gemäßigteres Tempo ein, um zu verhindern, dass das Pferd im weichen Sand ins Straucheln geriet. Er nahm kaum Notiz von Bres und Conand, die verwundet am Strand lagen, auch nicht von Lady Katherine, die in einem unförmigen Gewand steckte, dazu gefesselt und bewacht von Johns Soldaten. Er sah nur Honora mit dem Schwert in der Hand, die von Johns Klinge bedroht wurde.
Ewan sprengte im vollen Galopp auf die Gruppe zu, war sich nicht einmal seines Kriegsschreis bewusst, als er auf den Normannen losstürmte und sein erhobenes Schwert auf ihn niedersausen ließ. Sein Schlag prallte wirkungslos an Ceredys’ Schild ab.
Der auf seinem Pferd sitzende Baron trug volle Rüstung, der Helm verbarg sein helles Haar. An
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