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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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noch, das Dorf und dann die Hupe, dreimal und wieder: dreimal, und alle Leute im Dorf wissen es: Mary McNamara hat einen Jungen geboren, pünktlich in der Nacht vom 24. auf den 25. September; jetzt wird der Postmeister aus dem Bett springen, die Telegramme nach Birmingham, Rom, New York und London aufgeben; noch einmal die Hupe, für die Bewohner des Oberdorfs: dreimal: Mary McNamara hat einen Jungen geboren.
    Schon ist das Motorengeräusch zu hören, lauter, nah, scharf wirft der Scheinwerfer die Schatten der Fächerpalmen an die weißen Hauswände, verliert sich im Unterholz des Oleandergebüschs, hält an, und im Lichtschein, der aus ihrem Fenster fällt, sieht die junge Frau den riesigen Kupferkessel, der von der großen Armada stammen soll. Ihr Mann hält ihn lachend ins volle Licht.
    »Ein königliches Honorar«, sagt er leise, und die Frau schließt das Fenster, wirft noch einen Blick in den Spiegel und schenkt zwei Whiskeygläser voll: auf die schönsten Füße der Welt!

11 Der tote Indianer in der Duke Street

    Nur zögernd hebt der irische Polizist seine Hand, um das Auto zu stoppen. Wahrscheinlich ist er der Nachfahre eines Königs oder der Enkel eines Dichters, der Urneffe eines Heiligen, vielleicht auch hat er, der hier das Gesetz zu hüten scheint, die andere Pistole, die der Außergesetzlichkeit des Freiheitskämpfers, zu Hause unter dem Kopfkissen liegen . Niemals aber war die Tätigkeit, die er hier ausübt, Gegenstand eines der unzähligen Lieder, die seine Mutter ihm an der Wiege sang: die Nummer in den Zulassungspapieren mit der des Autos zu vergleichen, die blasse Fotografie des Besitzers mit dessen lebendigem Gesicht — welch eine törichte, fast erniedrigende Beschäftigung für den Nachkommen eines Königs, den Enkel eines Dichters, den Urneffen eines Heiligen — für den, der vielleicht die wilde Pistole der Außergesetzlichkeit mehr liebt als die des Gesetzes, die an seiner Hüfte baumelt.
    Mit schwermütigem Zögern also stoppt er das Auto, der Landsmann drinnen dreht das Fenster herunter, der Polizist lächelt, der Landsmann lächelt, und das dienstliche Gespräch kann beginnen:
    »Ganz netter Tag heute«, sagte der Polizist, »wie geht es Ihnen denn ?«
    »Oh, ganz gut, und Ihnen?«
    »Es könnte besser sein, aber sagen Sie: haben wir nicht einen netten Tag ?«
    »Wirklich reizend — oder glauben Sie, daß es regnen wird ?«
    Feierlich blickt der Polizist nach Osten, nach Norden, Westen und Süden — und in dieser genußvollen Feierlichkeit, mit der er den Kopf schnuppernd durch die Luft schiebt, liegt das Bedauern darüber, daß es der Himmelsrichtungen nur vier gibt; wie schön müßte es sein, genußvoll und feierlich in sechzehn Himmelsrichtungen blicken zu können — , dann wendet er sich nachdenklich dem Landsmann zu:
    »Nicht ganz ausgeschlossen, daß es regnen wird. Wissen Sie, an dem Tag, an dem meine Älteste ihr jüngstes Kind bekam — ein reizender kleiner Bengel mit ganz braunem Haar und ein Paar Augen — ein Paar Augen, sage ich Ihnen! — , an diesem Tag, es war vor drei Jahren, wohl um diese Jahreszeit, dachten wir auch, es sei ein reizender Tag; aber am Nachmittag ging es dann los.«
    »Ja«, sagte der Landsmann im Wagen drinnen, »als meine Schwiegertochter — die Frau meines Zweitältesten Sohnes — , als sie ihr erstes Kind bekam — eine süße Kleine mit ganz hellblondem Haar und ganz hellblauen Augen, ein entzückendes Kind, sage ich Ihnen! — , an diesem Tag war das Wetter fast so wie heute.«
    »Auch der Tag, als meine Frau den Backenzahn gezogen bekam — morgens Regen, mittags Sonne, abends wieder Regen — , genauso war es an dem Tag, als Catie Coughlan den Pfarrer von St. Mary erstach...«
    »Hat man je ‘rausgekriegt, warum sie es tat ?«
    »Sie erstach ihn, weil er sie nicht absolvieren wollte. Vor Gericht sagte sie dauernd zu ihrer Verteidigung: ›Sollte ich denn, mit all meinen vielen Sünden bedeckt, vielleicht sterben?‹ — genau an diesem Tag bekam das drittjüngste Kind von meiner Zweitältesten Tochter seinen ersten Zahn, und wir feiern doch die Zähne: ich aber schlich im strömenden Regen durch Dublin, um Catie zu suchen.«
    »Fandet ihr sie ?«
    »Nein, sie saß schon zwei Stunden auf dem Revier und wartete auf uns — aber es war niemand da, weil wir ja alle unterwegs waren, sie zu suchen .«
    »Zeigte sie Reue ?«
    »Nicht eine Spur. Sie sagte: ›Ich nehme an, daß er gleich in den Himmel gekommen ist: was will er eigentlich

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