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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Akustik dieses Ortes.
    »Dann geh voraus.«
    Diese Worte wiederum klangen wieder falsch. Allmählich wurde mir dieser Ort wirklich unheimlich.
    Ich wartete, bis sich Chip vor mir in Bewegung gesetzt hatte, was von einem neuerlichen und diesmal lang anhaltenden Kettenrasseln begleitet wurde, und nun sah ich, dass sich etliche der dicken Kettenbündel bewegten. Vielleicht ein Luftzug, den wir mit unserem Eintreten ausgelöst hatten.
    Ich folgte dem Jungen, aber ich fiel auch mit jedem Schritt, den er machte, ein wenig weiter zurück, denn ich trat nur sehr behutsam auf, schon wegen der unangenehmen Geräusche, die ich dabei verursachte.
    »Was wollte Jacobs Ihnen denn eigentlich hier zeigen?«, fragte Chip, nachdem wir vielleicht ein Drittel der großen Halle durchquert hatten. Auch er ging jetzt etwas langsamer, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, wirklich zu ihm aufzuholen. Ich hatte das verrückte Gefühl, dass sich der Junge immer gerade außerhalb meines Blickfelds hielt; ganz egal, wie schnell oder langsam ich auch ging.
    »Warum fragst du das?«, erwiderte ich. Das unheimliche Gefühl, einen monströsen Schatten irgendwo in der Dunkelheit über mir entlanghuschen zu sehen, ergriff mich.
    »War nur neugierig«, sagte Chip. Er blieb nun doch stehen und strich in Gedanken über eine der Ketten, die neben ihm von der Decke hingen. Als hier noch gearbeitet worden war, hatten sie vielleicht dazu gedient, tote Schweine und Rinderhälften zu transportieren oder schwere Maschinenteile zu bewegen. Jetzt mochten sie weit sinisteren Zwecken dienen, über die ich gar nicht nachdenken wollte. »Ist schon ein komischer Ort, nicht?«
    Mir wäre durchaus eine andere Bezeichnung dafür eingefallen, aber ich schwieg.
    Chip betastete eine der Ketten, folgte ihr mit Blicken, bis sie in der Dunkelheit über uns verschwand, und zog prüfend daran. Ich wünschte mir, er hätte das nicht getan. Chip selbst vermutlich auch, denn die Kette geriet ins Pendeln, berührte ihn sacht an der Wange und hinterließ einen langen Schmierer aus Rost und Öl darauf. »Ob sie es wohl gewusst haben?«
    »Was?«
    »All diese Tiere, die hier getötet worden sind. Das müssen Tausende gewesen sein.«
    »Man sagt, dass Tiere die Angst der anderen riechen«, bestätigte ich, bekam aber nur ein neuerliches Kopfschütteln zur Antwort. Und ein noch länger anhaltendes Kettenrasseln.
    »Das meine ich nicht. Ob sie wohl von uns gewusst haben?«
    »Von uns?«
    »Es waren nur Tiere, aber auch sie haben die Welt rings um sich herum bestimmt irgendwie wahrgenommen.« Chip machte ein übertrieben nachdenkliches Gesicht. »Ich frage mich, ob all diese Kreaturen davon wissen, dass es da noch eine andere Spezies gibt, die mitten unter ihnen lebt … und die viel intelligenter ist als sie und viel gefährlicher.«
    Für einen vermeintlichen Straßenjungen, als den ich Chip eingeschätzt hatte, waren das sehr seltsame Gedanken. »Was soll das?«, fragte ich misstrauisch.
    »Ich denke nur so«, erwiderte Chip. »Wie erstaunt sie wohl wären, wenn sie es wüssten. Und ob sie wohl fähig wären, sich zu wehren.«
    »Wehren?«
    »Gegen das Schicksal. Gegen uns.«
    »Was soll der Unsinn?«, fragte ich noch einmal und fügte noch schärfer hinzu. »Geh weiter.«
    Chip sah sehr ernst zu mir hoch. »Wirklich?«
    »Geh weiter«, sagte ich noch einmal. »Und ich warne dich. Wenn du irgendetwas Dummes versuchst, dann wirst du es bereuen.«
    Chip sah fast ein bisschen traurig aus. »Wohl kaum«, seufzte er … und verschwand.
    »Sie hätten Jacobs’ Geld nehmen und nach Hause gehen sollen«, sagte er. Vielleicht sagte er es auch nicht wirklich, denn so wie er selbst plötzlich verschwunden war, hörte ich nur noch das Klirren der Ketten, in dem diese Worte irgendwie mitzuschwingen schienen.
    Ich blinzelte, schüttelte den Kopf und blinzelte noch einmal. Was war nur mit mir los? Hatte ich zu viel von den schädlichen Dämpfen eingeatmet? Und wo war dieser verdammte Bengel?
    Zwei- oder dreimal rief ich Chips Namen und bekam nur ein anhaltendes Kettenrasseln zur Antwort, nicht einmal das Echo meiner eigenen Stimme. Ich war nahe daran, einfach die Halle zu durchqueren und nach der Treppe zu suchen, von der Chip gesprochen hatte, verwarf diesen Gedanken aber auch fast schneller wieder, als er mir gekommen war. Ich konnte immer noch nicht viel sehen, aber schon die bloße Vorstellung, mich in diesem unheimlichen Gebäude zu verlaufen, ließ mir die Knie weich werden. Wir waren zwar

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