Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
schon fast in der Mitte der Halle angelangt, aber ich ging lieber einen langen Weg zurück, den ich kannte, als eine vermeintliche Abkürzung zu wählen, die zur Todesfalle werden konnte.
Zur Sicherheit rief ich noch einmal nach Chip, dann drehte ich mich um und machte mich auf den Rückweg …
… oder hätte es getan, wäre er noch da gewesen.
Ich konnte ihn nicht finden. Es war verblüffend (und ein bisschen beunruhigend): Ich war mir sicher, nicht mehr als zwanzig oder fünfundzwanzig Schritte weit gegangen zu sein, und doch sah ich nichts als von Schatten und pendelnden Ketten erfüllte Weite, die mir schier die Luft abzuschnüren schien. Und diesem Gedanken wollten andere und noch viel bizarrere Überlegungen folgen. Doch das ließ ich nicht zu.
Stattdessen zwang ich mich, forschen Schrittes loszumarschieren. Wenn ich genau die Richtung einschlug, aus der ich gekommen war, dann musste ich den Eingang zwangsläufig wiederfinden, oder zumindest die Wand, an der ich mich schlimmstenfalls entlangtasten konnte.
Ich kam genau drei Schritte weit, bevor ich gegen ein Bündel Ketten prallte, das heftig zu klirren und peitschen begann und sein Möglichstes tat, sich um meine Glieder zu schlingen.
Mit einem erschrockenen Keuchen prallte ich zurück und streifte das klebrige Metall ab. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und landete unsanft auf dem Hinterteil. Als ich meinen Sturz schon fast verzweifelt wenigstens so weit abzufangen versuchte, dass ich nicht auf dem Rücken oder gar Hinterkopf aufschlug, prellte ich mir beide Handgelenke so schmerzvoll, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Ich wusste zwar nicht, wieso, war mir aber vollkommen sicher, nicht mehr aufzuwachen, wenn ich in diesem Raum das Bewusstsein verlor.
Es fiel mir schwer, die Benommenheit abzuschütteln, und es verging noch einmal eine geschlagene Sekunde, bis ich den brennenden Schmerz in meiner Handfläche spürte und den Arm mit einem Fluch zurückzog. Ich hatte nicht nur meine kostbare Zigarre fallen gelassen, sondern mich auch darauf abgestützt. Wo auch sonst?
Immerhin bewies der Schmerz, dass das alles hier wirklich geschah, und ich mir nicht etwa den Schädel eingeschlagen hatte und es mir nur zusammenfantasierte. Vermutlich konnte ich noch von Glück sagen, mit einer Brandblase davonzukommen, denn zweifellos hatte mich dieser verschlagene Junge nur hierher gelockt, um mich zu überfallen und auszurauben.
Was ja durchaus noch geschehen konnte.
Ich kramte ein Taschentuch hervor, schloss die verbrannte Hand darum, zog den Revolver und ließ den Hahn zurückschnappen. Eine Warnung für Chip, sollte er etwas Dummes vorhaben oder plötzlich ein paar Freunde von ihm auftauchen.
Ein anderes und deutlich … machtvolleres Klicken antwortete auf das Geräusch, irgendwo aus der Dunkelheit unter der Decke. Ich gestattete mir nicht, hinzusehen, sondern strengte die Augen an, um das Zwielicht ringsum mit Blicken zu durchdringen. Es gelang mir nicht. Es war, als wäre ich zehnmal weiter gegangen, als ich überhaupt gemerkt hatte, oder der Eingang einfach verschwunden.
Oder als hätte etwas das Licht gefressen.
Was für ein Unsinn!
Gezwungen tief atmete ich ein paarmal ein und aus und ging weiter, und die Ketten, in denen ich mich gerade um ein Haar verfangen hätte, begannen zu klingeln und sanft hin- und herzuschwingen.
Und nicht nur sie.
Von überall her erscholl plötzlich ein metallenes Klimpern und Rasseln, hinter mir, über mir, neben mir, überall, als erzitterte das ganze Haus unter einem Erdbeben.
Aber es war kein Erdbeben.
Es war etwas viel, wirklich viel Schlimmeres.
Ich meinte erneut eine vage Bewegung über mir zu registrieren, legte nun doch den Kopf in den Nacken und erstarrte zur sprichwörtlichen Salzsäule.
Ich sah jetzt, dass mein allererster und vermeintlich so alberner Gedanke gar nicht so albern gewesen war. Die zahllosen Ketten, die einzeln oder auch in dicken Bündeln von der Decke hingen, bildeten in ihrer Gesamtheit tatsächlich so etwas wie ein titanisches eisernes Spinnennetz.
Und in seinem Zentrum hockte eine gigantische Spinne.
Durch das schlechte Licht und die schwer einzuschätzende Entfernung gelang es mir nicht, ihre Größe zu bestimmen, doch allein der aufgedunsene Hinterleib musste einen Yard messen, und die weit gespreizten Beine überspannten gleich ein Mehrfaches dieser Distanz. Irgendetwas an diesem Ungetüm war nicht so, wie es sein sollte (abgesehen von seiner Größe), doch ich war viel zu
Weitere Kostenlose Bücher