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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das den Burschen anging, aber ich ertappte mich trotzdem dabei, ganz automatisch zu nicken. So konnte man es durchaus nennen.
    Ich wusste nicht, ob diese fast schon kalligrafisch anmutende Notiz tatsächlich von Jacobs stammte, denn ich hatte ihn selbst nur ein einziges Mal und seine Handschrift noch nie zu Gesicht bekommen, doch ich erinnerte mich auch gut an seine eher joviale Art zu sprechen und sich zu geben, und weder die Wortwahl noch die schon fast überpräzise Schrift schienen mir zu einem Mann wie ihm zu passen.
    Mein Verstand wollte mir (mit Recht) klarmachen, dass sich ein Mann wie Stanley Jacobs durchaus jemanden leisten konnte, der Dinge wie das Verfassen lästiger Notizen für ihn erledigte, aber das war längst nicht alles. Es gab keine Summe, auf die wir uns geeinigt hatten, und ich konnte mich auch nicht erinnern, ihm jemals meine Bankdaten genannt zu haben. Ich bevorzuge Barzahlung, und jetzt erinnerte ich mich auch, dass Jacobs zwischen zwei Schlucken Portwein wissend gelächelt und angemerkt hatte, dass die Steuer ja schließlich nicht alles wissen müsse und es ihn im Übrigen auch nichts angehe, was sie wusste und was nicht.
    »Und diesen Brief hast du von Mister Jacobs persönlich bekommen?«, vergewisserte ich mich.
    Chip hob die Schultern, und etwas klimperte in seiner Jackentasche. Ich sah ihn noch weitere zwei oder drei Sekunden lang auffordernd an, begriff schließlich, dass ich das auch noch zwei oder drei weitere Stunden lang tun konnte, ohne irgendeine andere Reaktion zu bekommen, und griff widerwillig in die Jackentasche, um einen Sixpence zutage zu fördern. Als Chip jedoch nach dem Geldstück greifen wollte, verbarg ich es blitzartig in der Faust und schüttelte den Kopf.
    Der Junge verstand. »Ich kenne diesen Jacobs nicht«, bekannte er. »Er hat behauptet, das sei sein Name. Ein großer Kerl mit Backenbart und teuren Kleidern. Er hat Zigarren geraucht und nach Portwein gerochen.«
    Was so ungefähr auf jeden zweiten Kaufmann und Bankier in dieser Stadt zutraf. Ich wiederholte mein Kopfschütteln.
    »Aber mehr weiß ich nicht«, beharrte Chip. »Er hat Sie mir beschrieben und mir den Brief gegeben. Und gesagt, dass Sie mich bezahlen.«
    Das sah ich zwar nicht ein, händigte ihm aber trotzdem den in Aussicht gestellten Sixpence aus und war nicht überrascht, als mir der Junge das Geldstück aus der Hand riss und dann zurücksprang. Ich wäre auch nicht überrascht gewesen, wäre er auf der Stelle verschwunden, doch Chip gab sich mit diesem kleinen Sicherheitsabstand zufrieden. Vielleicht spekulierte er ja auf einen weiteren Sixpence … den er ganz bestimmt nicht bekommen würde. Ich griff trotzdem noch einmal wie zufällig in dieselbe Tasche und ließ die Hand auch darin. Ganz wie es zu erwarten gewesen war, setzte der Junge seine begonnene Flucht nicht fort, und in seinen Augen flammte neue Gier auf.
    Sehr aufmerksam studierte ich den Text ein viertes Mal. Nichts daran war so ungewöhnlich, dass es nicht zu einem exzentrischen Kaufmann gepasst hätte, und doch schien er mir mit jedem Mal weniger überzeugend. »Wo hast du ihn getroffen?«
    »Nicht weit von hier.« Chip machte eine wedelnde Geste überallhin, verstand wohl die Bedeutung, als meine Augenbraue ein weiteres Stück an meiner Stirn emporwanderte, und deutete daraufhin auf ein großes Backsteingebäude ein gutes Stück entfernt, und selbstverständlich auf der anderen Seite des Kanals mit seinem blubbernden Inhalt.
    »Dort?«, fragte ich unüberhörbar zweifelnd. Meine Augen tränten jetzt wirklich, und jeder Zug aus der Zigarre hinterließ einen scharfen Nachgeschmack tief in meinem Rachen, den ich allenfalls von jenem billig verschnittenen Tabak kannte, wie man ihn in zwielichtigen Spelunken und ärmlichen Vierteln für ein paar Pennys erstehen konnte. Ich musste ein paarmal blinzeln, um das dreistöckige Gebäude klar zu erkennen, aber dadurch wurde es auch nicht ansehnlicher und schon gar nicht vertrauenswürdiger. Wie ein großer Teil der Häuser hier stand es leer und musste schon vor Jahren aufgegeben worden sein, wie die zahllosen eingeschlagenen Scheiben und herausgerissenen Türfüllungen bewiesen. Schon der bloße Anblick bereitete mir Unbehagen, und eigentlich wollte ich nichts weniger, als dorthin zu gehen.
    Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, welcher Teufel Jacobs eigentlich geritten hatte, mich ausgerechnet hierher zu bestellen, in eine Gegend, die so heruntergekommen, leer und vor allem gefährlich

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