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IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

Titel: IRRE SEELEN - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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Unterfangens.
    Es wird nicht funktionieren, es wird nicht funktionieren. Es ist viel zu spät.
    Jack zögerte, schnaubte und zeichnete dann mit seinem eigenen Blut zwei große Dreiecke, ein normales und ein weiteres, das auf dem Kopf stand. Salomons Hexagramm. Erde, Wind, Wasser und Feuer – und an der Stelle, an der sie sich überschnitten: die Quintessenz; das fünfte Element.
    Er stellte sich davor und berührte die Wand. Draußen vor dem Fenster seiner Zelle zuckte ein Blitz vom Himmel und Donner krachte wie Tausende Baumwolltücher, die gleichzeitig zerrissen wurden. Regen prasselte auf die Hausdächer von Milwaukee, als ob Gott sich vorgenommen hatte, die Stadt zu überfluten und in einen See zu verwandeln.
    Jack nahm die von Geoff eng bekritzelten Blätter zur Hand und rezitierte die darauf notierten Druidenformeln. Da haben sich bestimmt Fehler eingeschlichen, sinnierte er. Es ist schon zu lange her. Wie kann man ein Ritual über eine Zeitspanne von 2.000 Jahren korrekt überliefern?
    Aber Quintus Miller hatte es schließlich auch geschafft, oder nicht? Quintus Miller und all seine übergeschnappten Jünger. Und wenn Quintus Miller es fertigbrachte, dann würde es ihm auch gelingen.
    »Dia dha mo chaim,
    Dia da mo chuairt,
    Dia dha mo chainn,
    Dia dha mon smuain!«
    Er kam sich vor wie ein Idiot. Wie ein Vollidiot sogar. Seine Aussprache war vermutlich entsetzlich. Selbst wenn es Keltengötter und druidische Einflüsse gab, dann konnten ihn die Gottheiten wegen seines schrecklichen Zungenschlags vermutlich trotzdem nicht verstehen.
    Doch er las alles so exakt wie möglich ab, was Geoff aufgeschrieben hatte, bis zum letzten Wort. Dann nahm er sich die Liste der 50 Namen von Awen vor – Da und Yoghan, Mabo und Mabona, Lu und Lew, mab-Moi und Mabinos.
    Jack zögerte, leckte sich die Lippen und spielte dann auf der Flöte mit höchster Konzentration die Melodie von Lavendelblau, dideldei. Anschließend sprach er die finalen rituellen Worte, die ihm den Zutritt in die Wand ermöglichen sollten:
    »Caimich mi a nochd,
    Eadar uir agus eare,
    Eadar run do reachd,
    Agus dearc mo dhoille.
    Begrab mich des Nachts,
    Unter Weiden und Herden,
    Im Geheimnis deiner Gesetze.
    Meine blinden Augen.«
    Während Jack die Worte rezitierte, näherte er sich mit zitternden Händen dem Hexagramm an der Wand seiner Zelle. Er ging näher und immer näher, bis sein Gesicht das graue Mauerwerk berührte. Begrab mich des Nachts, flüsterte er. Begrab mich des Nachts.
    Er hörte Schritte im Gang vor seiner Zelle. Die Wache kam. Er hörte Schlüssel klappern und einen der Besoffenen, der schrie: »Mutter! Mutter! Hol mich hier raus, Mutter!«
    Jack schloss die Augen. Gott steh mir bei. Begrab mich des Nachts im Geheimnis deiner Gesetze.
    Die Tür zu seiner Zelle öffnete sich. Der Wärter sagte: »Sie haben ja schon wieder auf der verdammten Flöte gespielt. Damit treiben Sie hier noch alle anderen Zelleninsassen in den Wahnsinn.«
    Jack trat in die Wand hinein.

Z W Ö L F
    Er fühlte sich wie mit trockenem Sand überschüttet. Er konnte die Augen nicht öffnen, weil Ziegelsteine vor seinem Gesicht vorbeischrammten. Doch Jack bemerkte, dass er gar nicht auf seine Sehorgane angewiesen war. Er konnte sich im Geiste sehr gut vorstellen, wo er hinging, konnte es fast genauso deutlich visualisieren wie mit geöffneten Lidern. Die Wände des Polizeihauptquartiers erschienen ihm wie düstere, enge Pfade eines Labyrinths und er konnte sich in ihnen schnell und problemlos fortbewegen. Seine eigenen Moleküle durchdrangen die Moleküle des Mauerwerks und gaben dabei ein dunkles Sssssschhhhhh- Geräusch von sich.
    Jack legte die gesamte Länge des Zellentrakts in der Wand zurück. Immer wenn er eine der Metalltüren passierte, fühlte es sich anders an, fast so, als ob ihn ein Rasensprenger erwischt hätte, wie ein plötzlicher Schwall eiskalten Wassers. Er erreichte die Treppe. Da wurde ihm klar, dass er sie wahrscheinlich gar nicht brauchte. Die Irren waren in ihrer erdigen Umgebung eher herumgeschwommen als gelaufen. Jack stellte sich vor zu schwimmen und ließ sich dabei tiefer in die Dunkelheit der Wände hineinsinken, hinab auf die Straße und dann unter die Straße.
    Mit der merkwürdigen Eleganz eines unerfahrenen Tauchers bahnte er sich einen Weg durch Beton, Ziegelstein und Felsen. Ab und an musste er durch ein Abwasserrohr, eine Gasleitung oder ein elektrisches Kabel. Ohne dass er es wusste, verursachte sein Gang durch die

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