Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Karten. Denn man muss die Koalitionsangebote beider Seiten höflich zurückweisen. Sich in einen derartigen dreißigjährigen Krieg mit eigenen Truppenteilen einzumischen, wäre höchst fahrlässig. Im besten Fall verbünden sich dann beide Kriegsparteien gegen den Therapeuten und man hat auf diese Weise zumindest die Ehe stabilisiert. Man kann in solchen Fällen therapeutisch versuchen, über die Phasen der Ehe zu sprechen, in denen kein Krieg herrschte, und vorsichtig die Frage zu erörtern, wie man solch erfolgreiche Phasen wiederherstellen könnte. Zuweilen besteht bei kämpferischen Ehen aber wenig Interesse an langweiligem Frieden. Dann kann die Lösung darin bestehen, den Krieg weniger kräfteaufreibend zu gestalten. Erfolgreich wird man freilich nur dann sein, wenn es den Partnern gelingt, die eigene Auffassung nicht als die einzig normale anzusehen. Doch das ist für Normale immer schwierig, denn im Gegensatz zu gewissen Schizophrenen, die nur in der akuten Krankheitsphase sich selbst für die einzig Normalen halten, hält ein solcher Zustand in mehr oder weniger starker Ausprägung bei manchen so genannten Normalen lebenslang an. Sich selbst mal probeweise
in Frage zu stellen, das täte solchen Normalen sehr gut und übrigens uns allen, die wir ja zugegebenermaßen immer mal wieder ein bisschen wahnsinnig oder blödsinnig normal reagieren. Humor wäre ein probates Mittel dafür. Doch wirklicher Humor ist im normalen Leben leider rar.
Wirklicher Humor kann aber aus der öden Welt der blödsinnig Normalen befreien. Man bekommt Distanz von sich, von den eigenen Rechthabereien, von den eigenen muffigen Milieus. Man lernt, dass man zwar eines freundlichen mitmenschlichen Umgangs wegen gewisse Formen beherrschen sollte, aber dass man sich umgekehrt nie von Formen beherrschen lassen sollte. Mit Humor kann man aus Lust und Laune auch einfach mal ganz herrlich unnormal sein. Doch genau das hassen sie, die blödsinnig Normalen, wie die Pest.
Am Ende der Kapitel über den ganz normalen Wahnsinn, die wahnsinnig Normalen, den ganz normalen Blödsinn und die blödsinnig Normalen liegt drastisch vor aller Augen, dass all diese Normalen in Wahrheit das eigentliche Problem unserer Gesellschaft darstellen. Die Nachrichtensendungen sind voll davon, die Boulevardzeitungen auch und Besserung ist kaum zu erwarten. Denn Behandlungsmöglichkeiten gibt es nicht. Wahnsinnig normale Politiker kann man frühestens alle vier Jahre abwählen. Doch in manchen Ländern sorgen sie durch Abschaffung von Wahlen dafür, dass auch solche Lösungen unmöglich sind. So drängen sie sich jahraus jahrein optisch und akustisch in den Medien einer genervten Öffentlichkeit auf. Und weil andererseits Vertreter des ganz normalen Blödsinns weder gewählt noch abgewählt werden können, ist gegen die Dieter Bohlens unserer Gesellschaft leider überhaupt kein Kraut gewachsen. Die Lage erscheint aussichtslos. All die wahnsinnig und blödsinnig Normalen bestimmen unser Leben und machen es zur Hölle. Man sehnt sich nach dem Extraordinären und bekommt doch immer nur das Ordinäre.
B Warum behandeln, und wenn ja, wie viele? - Über Unsinn und Sinn von Psychiatrie und Psychotherapie
Aber vielleicht gibt es doch Hoffnung. In früheren Zeiten hatte man Krankheit und Gesundheit noch nicht so strikt getrennt. Man kannte einen Morbus sacer, eine heilige Krankheit, die Epilepsie, weil man vermutete, während seines Anfalls stehe der Epileptiker in direktem Kontakt mit der Gottheit. Auch die psychisch Kranken hatte man früher nicht so rigide und systematisch aus der normalen Gesellschaft ausgegliedert, wie das heute der Fall ist. Sie prägten mit ihrer Außergewöhnlichkeit eine fantasievollere Welt. Sie belächelten die Normalität und dieses Lächeln wärmte alle, auch die Normalen.
Könnte nicht eine neue Sicht von psychischen Krankheiten die ganze spießige Gesellschaft wieder lockern und aus dem Zangengriff der wahnsinnig und blödsinnig Normalen befreien? Die Chance besteht, denn unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit hat sich in Psychiatrie und Psychotherapie eine Entwicklung durchgesetzt, die in psychischen Krankheiten nicht bloß Defizite zu sehen vermag, sondern auch Ressourcen, besondere Kräfte, die dem Patienten selbst aus seiner psychischen Krise helfen können. Was wäre aber, wenn man diese Kräfte auch wieder für die ganze Gesellschaft nutzbar machen könnte?
Dazu ist freilich Aufklärung erforderlich. Und daher wird
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