Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
fremdgefährdend wird -, kann er auch gegen seinen Willen über das zuständige Ordnungsamt in die örtliche Psychiatrie eingewiesen werden. So etwas kommt vergleichsweise selten vor. Doch aus Sicht von Bürgermeister Peppone traf das bei Don Camillo in hohem Maße zu, vor allem was die Gefährdung der eigenen bürgermeisterlichen Person betraf. Und so hätte die Diagnose Schizophrenie den guten Don Camillo schnurstracks in die Psychiatrie geführt. Die ganzen schönen Geschichten hätten geendet, bevor sie noch begonnen hätten - allerdings aufgrund einer drastischen Fehldiagnose und in der Folge eines skandalösen Justizirrtums. Denn der kreuzfidele Dorfpfarrer zeigte nicht im Mindesten Anzeichen von Krankheit. Er war vital, skurril, steckte voller Ideen. Mit einem Wort: Die Figur des Don Camillo war ein Ausbund an körperlicher und seelischer Gesundheit.
Vor Kurzem hat man den exzentrischen Schauspieler Klaus Kinski auf einen psychiatrischen Nenner zu bringen versucht, weil er sich einmal wenige Tage lang in einer psychiatrischen Klinik aufgehalten hatte. Dabei waren irgendwelche Verdachtsdiagnosen gestellt worden. Es ist nie auszuschließen, dass dünnhäutige Menschen irgendwann in ihrem Leben ihre dünne Haut durch die Mauern eines psychiatrischen Krankenhauses schützen. Doch damit ist zumal bei einem hochsensiblen außergewöhnlichen Künstler noch gar nichts bewiesen. Die Psychiatrie darf sich nicht dazu verleiten lassen, das Außergewöhnliche, das Exzentrische durch Diagnosen ruhigzustellen. Wir alle turnen mehr oder weniger kunstvoll am Abgrund des sicheren Todes entlang. Normalerweise schauen Menschen da nicht hinein. Das heißt zwar nicht, dass man alle diese Menschen einfach für kurzsichtig erklären darf. Aber man darf diejenigen,
die immer mal wieder in diesen Abgrund starren und dann etwas anders wirken als die meisten, deswegen nicht für verrückt erklären. Der große Friedrich Nietzsche hat wie kaum ein anderer Mensch an den Grenzen unserer Existenz gedacht, gedichtet und gelitten. Es ist kein Zeichen von geistiger Souveränität, wenn manche Christenmenschen sein ganzes Denken am liebsten als Ausgeburt des Wahnsinns darstellen. Friedrich Nietzsche war nicht wahnsinnig. Nur am Ende seines Lebens litt er an den Folgen einer Hirnentzündung durch Syphilisbakterien. Das hat ihn dann zeitweilig verwirrt. Aber seine großen Gedankenexperimente waren überhaupt nicht verrückt, sondern die konsequenteste Ausformulierung eines leidenden Atheismus. Nicht dieses Denken hat Friedrich Nietzsche in den Wahnsinn getrieben, wie es manche gern hätten, sondern es waren kleine Bakterien, die sein Gehirn zerstörten. Es ist ein Mythos von missgünstigen und kleingeistigen Stammtischphilosophen, dass zu viel Denken einen Menschen wahnsinnig machen kann. Die Psychiatrie kennt so etwas nicht. So eignet sich die Psychiatrie nicht für die Entschärfung schwieriger oder gefährlicher Gedanken. Wenige Gedanken sind richtig, viele Gedanken sind falsch, aber die wenigsten Gedanken sind krank.
Genie und Wahnsinn, das gehe häufig zusammen, meint der Volksmund. Doch da hat er ausnahmsweise einmal unrecht. Menschen, die Geniales vollbringen, sind zwar nicht normal, aber deswegen noch lange nicht verrückt. Im Gegenteil, um Großes zu vollbringen, muss man seine Tassen im Schrank ziemlich geordnet haben. Zwar sind auch »Wahnsinnige« bisweilen zu genialen Produktionen in der Lage, aber am ehesten dann, wenn die Krankheit nicht akut ist. Es wird mitunter übertrieben viel Aufhebens von der Kunst psychisch Kranker gemacht. Die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg ist legendär. Und doch ist nicht das Verrückte selbst das Künstlerische. Psychisch kranke Künstler sind in der Regel nicht wegen, sondern trotz ihrer psychischen Krankheit künstlerisch kreativ, auch wenn sie die psychische Erkrankung vielleicht unmittelbarer mit ihren existenziellen Tiefen in Berührung gebracht haben mag. Wenn psychisch Kranke freilich große Kunst vollbringen,
dann haben sie den gleichen Anspruch auf Beachtung wie ihre nicht kranken Kollegen. Dafür sind Sammlungen von Kunst psychisch Kranker auch wichtig. Es ist aber vor jeder Betulichkeit zu warnen. Das Gekrakel eines verwirrten Patienten nur deswegen für Kunst zu halten, weil es für den kleingeistigen Betrachter genauso unverständlich ist wie manches Werk von Picasso, verrät wenig Sinn für moderne Kunst - und auch im Grunde wenig Respekt vor psychisch Kranken. Psychisch kranke
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