Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
Vom Netzwerk:
schwer wurde, sprach ich rasch:
    ›Du begehrst meinen Namen zu wissen, Kyklop? Höre denn, mein Name ist Niemand; es ist ein seltener Name, doch ich trage ihn mit Stolz, da schon mein Vater und mein Großvater Niemand hießen! Aber nun vergiss auch nicht, mich, wie du versprochen, zu bewirten.‹
    ›O Niemand, Niemand‹, lallte der Kyklop, und sein Auge glühte wie im Fieber, ›dich werde ich als Letzten fressen, mein lieber Niemand, das soll deine Bewirtung sein!‹ Mit diesen Worten ließ er sich auf die Seite fallen, streckte die Beine aus und schlief schnarchend und schnaufend ein, vom trojanischen Wein überwältigt, und im Schlafen erbrach er sich, und sein Schädel lag in einer Lache aus Blut und Speichel und Menschenfleisch.
    Nun gruben wir eilends die hölzerne Lanze aus dem Mist, machten die Spitze im Feuer glühen, doch da wir zum letzten, entscheidenden Werk Hand anlegen wollten, verließen uns die Kräfte, und wir vermochten vor Grauen kein Glied zu rühren und standen wie leblos vorm Feuer und krochen schließlich angstgepeinigt in unseren Winkel zurück. Nun aber drohte die so mühsam geschärf te und geglühte Lanze Feuer zu fangen und zu verbrennen; wir hörten den Schaft schon knistern und flehten in unsrerOhnmacht die Götter an, uns Kraft und Mut zu schenken, und einer der Himmlischen muss uns auch erhört haben, denn plötzlich fühlten wir unsere Herzen geschwellt von Glauben und Zuversicht. Wir ergriffen den Stamm mit beiden Händen, hoben ihn aus dem Feuer, nahmen Anlauf und rannten ihn dem Kyklopen ins lid überdeckte Auge und drehten, wie ein Mann den Bohrer dreht, Schiffsholz zu bohren, den Pfahl im Augapfel bis an den Knochen und drehten und pressten, dass Wimpern und Augenbrauen prasselnd verkohlten und mit ungeheurem Zischen die Augwurzel selbst zu brennen an hob. Gestank erhob sich und Qualm; schwarzes Blut schoss wie ein Springquell aus der rauchenden Wunde; der Riese heulte auf, dass die Berge bebten; wir flohen wieder in den innersten Winkel, und das Ungeheuer riss sich den Pfahl aus dem blutbesudelten Augenloch, schleuderte ihn fort und brüllte unablässig jammernd die benachbarten Kyklopen zur Hilfe herbei.

    ›Was für ein Leid geschah dir denn, Polyphem, dass du so heulst und uns aus dem Schlummer reißest?‹, hörten wir einen der Kyklopen draußen fragen. ›Raubt dir jemand Ziegen und Schafe, oder greift ein Feind gar dein Leben an?‹
    Polyphem aber brüllte: ›Niemand ist gekommen, liebe Brüder, Niemand greift mir ans Leben, Niemand stach mir das Auge aus, Niemand hat mir ein schreckliches Leid angetan!‹
    ›Na, was brüllst du denn so, wenn niemand dir etwas getan hat?‹, sprach der Kyklop verärgert. ›Warum schreist du uns dann aus dem besten Schlaf, du Narr? Wahrscheinlich hast du zu viel getrunken und einen bösen Traum gehabt!‹ Er sprach es grollend, und ich hörte mit jubelnder Freude am erdbebengleichen Trappen und Stamp fen, wie sie sich trollten; der Kyklop schrie ihnen nach, zu bleiben und Niemand zu fangen und Niemand zu bestrafen, doch die andern scherten sich nicht um sein Geschrei und zogen davon.
    Nun begann der Riese auf gut Glück die Höhle nach uns abzusuchen; allein als er das dritte Mal mit der auglosen Stirn an eine Felszacke gestoßen war, gab er die Suche auf und setzte sich ans Höhlentor. Wimmernd und winselnd, bald wieder brüllend und fluchend saß er so da, bis der Morgengraute und die Tiere nach der Weide drängten. ›Geduldig, geduldig, liebe Tierlein‹, ächzte der Kyklop, ›dass mir die Läusebrut nicht auf eurem Rücken entkomme!‹ Mit diesen Worten wälzte er den Stein ein Stück zur Seite, so dass nur jeweils drei Tiere hinausgehen konnten, dann lockte er die Herde ins Freie und tastete sorgfältig Rücken um Rücken nach uns ab.
    Jetzt war unsere letzte Gelegenheit zur Flucht gekommen, denn Polyphem hätte zweifellos nach der Herde selbst die Höhle verlassen und sie unlösbar verpfropft, so dass wir bis an unser Lebensende Gefangene in Finsternis und Gestank geblieben wären. Auch hätte er uns zu Tode räuchern können. Schneller Rat tat not; ich wälzte Pläne hin und wider, und endlich fiel mir die beste List ein. Seine Widder waren feiste, dickvliesige Gesellen, groß und stattlich von Wuchs und mit langhangender Wolle bekleidet; diese band ich unter dem Bauch mit Weidenruten aus der Schlafmatratze des Riesen zusammen, dass sie eine Art Tragmatte bildeten, kräftig genug, einen Gefährten zu bergen; jedem dieser

Weitere Kostenlose Bücher